Gegen Rassismus: eine psychologisch-fachliche und eine bürgerliche Aufgabe
Zum internationalen Tag gegen Rassismus und zu den Wochen gegen Rassismus
Menschen haben eingeschränkte Aufnahme- und Verarbeitungskapazität. Manchmal ist das gut. Die furchtbaren Ereignisse eines Krieges lenken von anderem Elend ab. Trotzdem: Das Elend bleibt, auch wenn wir gerade nicht hinschauen.
Im Jahr 1966 haben die Vereinten Nationen den 21. März zum internationalen Tag gegen Rassismus ausgerufen. Vom 14. bis 27 März finden in diesem Jahr die internationalen Wochen gegen Rassismus statt - mit vielen Veranstaltungen, wenn auch coronabedingt immer noch eingeschränkt.
Die aktuelle Polizeiliche Kriminalitätsstatistik verzeichnet für das Jahr 2020 über fünftausend ausländerfeindliche Straftaten, außerdem mehr als zweitausend antisemitische Straftaten - Tendenzen steigend. Diese Zahlen werden durch die Statistiken von Nicht-Regierungsorganisationen zum Teil weit übertroffen. Rassismus ist nicht weg, auch wenn wir gerade woanders hinschauen. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, leiden weiterhin: sie sind verunsichert, entwickeln massive Ängste, nehmen körperlich Schaden und sterben.
Diskriminierung und Gewalt gegen Menschen, die "irgendwie" anders erscheinen, gehen auf rassistische Überzeugungen zurück. Psychologie beschäftigt sich mit Einstellungen und Vorurteilen und deren Veränderung. Die Frage ist, warum gelingt es der Psychologie nicht, solche rassistischen Einstellungen zum Verschwinden zu bringen, sind wir doch an anderer Stelle so gut darin, Menschen zum Beispiel dazu zu bringen, bestimmte Produkte zu mögen und am Ende zu kaufen - auch wenn sie sie eigentlich nicht brauchen. Ein Teil der Antwort ist: Rassismus und Vorurteile gegen "die Fremden" und die Abwertung von Fremden sind selbstwertdienlich: Die Abwertung der Anderen hilft, uns selbst und unsere eigene Gruppe aufzuwerten. In dieser Antwort steckt auch schon ein Teil der Therapie: Wir müssen andere Wege finden, ein positives Selbstbild zu entwickeln, als auf andere herabzuschauen. Das Setzen eigener Ziele, der Blick auf eigene Weiterentwicklungen, auch das Eingeständnis von Misserfolgen und der Umgang damit können Alternativen zur selbstwertdienlichen Abwertung der Anderen sein.
Aber, die Psychologie und der psychologisch geleitete Umgang mit Rassismus sind nur ein Teil des Problems. Wenn wir in westlichen Gesellschaften aufgewachsenen sind, sind wir auch in eine Kultur hineingeboren, in der rassistische Bilder tief verwurzelt sind. Wir alle kennen die diffamierenden Stereotypen über Juden oder Menschen schwarzer Hautfarbe, welche Eigenschaften sie angeblich haben und warum das ihre Schlechterbehandlung rechtfertigt. Dieses kulturelle Erbe schleppen wir mit uns herum, und es ploppt auf, manchmal ohne, dass wir es bewusst kontrollieren können.
Gesellschaften produzieren negative Stereotypen über die Fremden, um damit Ungerechtigkeiten zu überdecken. Die Bilder von ertrunkenen Kindern im Mittelmeer werden leichter erträglich, wenn wir uns einreden und einreden lassen, dass die - oder ihre Eltern - doch eigentlich selbst schuld sind: wie kann man sich auf eine solche riskante Überfahrt einlassen? Aber so sind sie nun mal. Mit solchen Rechtfertigungsmechanismen bedroht Rassismus nicht nur seine Opfer, sondern er vergiftet auch das gesellschaftliche Klima, aus dem heraus er sich entwickelt.
Gerade haben wir es mit dem Eroberungskrieg in der Ukraine zu tun. Rassismus scheint daher nicht so wichtig. Aber, auch Kriegsführung ist nur möglich, wenn die Konfliktparteien hinreichend abwertende Feindbilder schaffen, besser noch, die Gegner und ihre Kinder dehumanisieren, aus der Gruppe der Menschen auszuschließen. Erst das macht das Abschlachten möglich - Rassismus und Krieg bedingen einander.
Was heißt das alles für die Psychologie, für Psychologinnen und Psychologen? Natürlich müssen wir uns weiter mit unserer fachlichen Kompetenz einbringen, den Opfern rassistischer Übergriffe und rassistischer Gewalt beistehen und in Anti-Radikalisierungsprogrammen engagieren. Wir sind damit durchaus erfolgreich. Wir müssen uns allerdings darüber im Klaren sein, dass psychologische Prävention und Intervention alleine nicht reichen: Rassismus ist in westlichen Gesellschaften und darüber hinaus tief verankert; Psychologinnen und Psychologen sind auch verantwortliche Bürgerinnen und Bürger und müssen sich auch als solche gegen Rassismus im Alltag, in der Politik, in den Medien, im Bekanntenkreis wehren und dagegen angehen.
Prof. em. Dr. Ulrich Wagner
Philipps-Universität