Mehr Psychologie in und für die Schule
Die Leistungsvergleichsstudien der vergangenen Jahre, zuletzt PISA (Programme for International Student Assessment), haben gezeigt, dass es mit dem deutschen Schul- und Bildungswesen nicht zum Besten steht. Deutsche Schüler und Schülerinnen nehmen im internationalen Vergleich mit ihren Leistungen im Rechnen, Lesen und in den Naturwissenschaften nur mittlere Rangplätze ein. Das ist enttäuschend für ein Land, das sich viel auf sein Bildungssystem zugute hält, und selbst wenn man einräumt, dass solche Studien nur punktuelle Überprüfungen durchführen und vieles nicht erfassen, was darüber hinaus gelernt wird, sollten die Ergebnisse zu denken geben. Ein Gutes haben sie aber auch bewirkt: Die Bildungspolitik und der Schulunterricht sind in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt.
In den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für das Unterrichten an unseren Schulen deutlich verschlechtert: Größere Klassen und Deputatserhöhungen führen zu wachsender Unzufriedenheit und Überforderung der Lehrerinnen und Lehrer. Die Zahl derer, die sich frühzeitig pensionieren lassen, ist groß. Lehrer, Schüler und Eltern kämpfen teils gemeinsam, häufig aber auch gegeneinander, mit den Unzulänglichkeiten mangelhaft ausgestatteter und gepflegter Gebäude, der Unterversorgung mit Lehrkräften und Verwaltungspersonal, bürokratischer Behinderung von Eigeninitiative und Kreativität, aber auch mit den Belastungen, die sich aus der ungesicherten sozialen Situation einer immer größeren Zahl von Schülerinnen und Schülern ergeben. Das Ansehen von Schule, Lehrern und Bildungspolitik ist dramatisch gesunken.
Zugleich sind die Erwartungen an Schule und Unterricht ständig gestiegen: Technische und gesellschaftliche Entwicklungen erfordern die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten, die auch die Lehrkräfte vor neue Herausforderungen stellen. Immer mehr Wissen soll in immer kürzerer Zeit vermittelt werden. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Ganztagsbetreuung der Schüler und nach Angeboten einer besonderen Förderung sowohl der Hochbegabten als auch derer, die aus medizinischen, psychischen oder sozialen Gründen Leistungsprobleme haben. Und zunehmend werden Erziehungsaufgaben - Erziehung zu Konfliktfähigkeit, Verkehrserziehung, Umwelterziehung, Medienerziehung, Integration von Migrantenkindern, Suchtprophylaxe - an die Schulen delegiert, weil sie dort noch am ehesten wahrgenommen werden können.
In dieser Situation muss sich eine Gesellschaft darauf besinnen, dass Investitionen in Bildung und Ausbildung die wichtigsten Voraussetzungen für ihre gesicherte Zukunft sind. Erforderlich ist nicht nur die Bereitstellung von mehr Mitteln für mehr Lehrkräfte und eine bessere Ausstattung der Schulen, sondern auch die Verbesserung der Lehreraus- und -fortbildung. Zu dieser Verbesserung kann die Psychologie in erheblichem Maße beitragen, denn sie verfügt über Erkenntnisse und Instrumente, die ein effizienteres Lehren und Lernen und ein besseres Miteinander in den Schulen fördern. Diese Möglichkeiten und Angebote der Psychologie werden von Seiten der Schule bisher aber zu wenig wahrgenommen und noch weniger genutzt. In der Lehreraus- und -fortbildung rangiert die Psychologie immer noch unter den so genannten Erziehungswissenschaften und ist weit davon entfernt, zentrale Berufswissenschaft für Lehrerinnen und Lehrer zu sein.
Als Berufsverband Deutscher Psychologen und Psychologinnen sehen wir es deshalb als eine unserer zentralen Aufgaben an, die Erkenntnisse der Psychologie und die Fachkompetenzen von Psychologinnen und Psychologen deutlich stärker in das System Schule und in die Lehrerbildung einzubringen. Im Wesentlichen geht es darum,
- Lernprozesse gut und sachgerecht zu strukturieren
- ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Freude am Lernen und einer Leistungsorientierung herzustellen
- Begabungen zu erkennen und zu fördern
- ein Klima der Toleranz und gegenseitigen Akzeptanz in den Lerngruppen zu schaffen, auch zwischen Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Herkunft
- einzelnen Schülerinnen und Schülern bei der Bewältigung ihrer Schwierigkeiten zu helfen
- Lehrern eine kontinuierliche Weiterbildung und professionelle psychologische Unterstützung zu bieten
- die Arbeitsbedingungen von Lehrern den Erfordernissen einer modernen Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung anzupassen
- Raum zu schaffen für kreative und individuelle Problemlösungen
- Eltern die Möglichkeit zu bieten, im Rahmen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Mittel den Schulalltag mitzugestalten
Der BDP bietet sich mit seinen Fachsektionen als Gesprächspartner für die Bildungspolitik und vor Ort als Berater für Initiativen von Schulen und Schulträgern an. Unmittelbare Ansprechpartner für schulpsychologische Fragestellungen sind die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. Psychologisches Arbeiten in und mit dem System Schule berührt darüber hinaus weitere Tätigkeitsfelder, zum Beispiel Personal- und Organisationsentwicklung, Lehreraus- und -fortbildung, Gesundheitserziehung, klinisch-psychologische Fragestellungen und Kriminalprävention. In diesen Bereichen kooperiert die Sektion Schulpsychologie mit den zuständigen Fachsektionen und verweist auf deren eigenständige Kompetenzen.
Jenseits aller Diskussionen um Schulsysteme und Bildungstheorien ist Schule immer so gut oder so schlecht, wie die handelnden Personen sie in der alltäglichen Umsetzung der verschiedenen Konzepte machen. Ihre Qualität hängt weniger von Theorien als von der konkreten Handlungs- und Problemlösekompetenz von Lehrern, Schülern und Eltern ab. Zu deren Verbesserung kann und muss die Psychologie wesentlich beitragen.