Stellungnahme des BDP zum Beratungsthema Gesprächspsychotherapie

BDP unterstützt neuen Vorstoß zu Gunsten der Gesprächspsychotherapie Der BDP hat sich erneut für die Erstattung der Gesprächstherapie (GT) durch die gesetzlichen Krankenkassen ausgesprochen. In seiner Stellungnahme an den Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen (Gemba) machte der BDP deutlich, dass die Effektivität und auch der zusätzliche Nutzen einer Anerkennung der GT schon längst durch viele Studien und auch Meta-Analysen nachgewiesen worden ist. Nach dem neuen Gesundheitsstrukturgesetz sollen "neue" Therapieverfahren und Arzneien, d.h. auch Psychotherapieverfahren, die bislang nicht von Krankenkassen erstattet wurden, durch den Gemba nach den Grundsätzen der Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB) bewertet werden. In seiner Stellungnahme vom 17.11.04 wies der BDP darauf hin, dass viele TK-Behandler vor 1999 GT-Stunden mit den Krankenkassen abrechneten. Nach in report psychologie 1996/97 veröffentlichten Umfragen gaben rund 50% der TK-Behandler an, eine Weiterbildung in Gesprächspsychotherapie absolviert zu haben. Auch wenn die Wirksamkeit der GT längst nicht mehr in Frage gestellt werden dürfte, ging der BDP noch einmal ausführlich auf die Fragen des Gemba ein. Sie bezogen sich z.B. auf die spezifische Wirksamkeit der GT im Vergleich zu Psychoanalyse und Verhaltenstherapie oder darauf, inwiefern durch die Aufnahme der GT in den Leistungskatalog die psychotherapeutische Versorgung verbessert wird.

Fragen zum Verfahren

1. Wie ist das Verfahren in Hinblick auf sein Theoriesystem der Krankheitsentstehung und der daraus abgeleiteten Behandlungsstrategie definiert?

Der wissenschaftliche Beirat nach § 11 PsychThG hat in seinem Gutachten 1999 und 2002 festgestellt, dass es sich bei der Gesprächspsychotherapie (im folgenden: GT) um ein theoretisch fundiertes und praktisch wirksames Therapieverfahren handelt und sie deshalb zur vertieften Ausbildung entsprechend dem in Deutschland zum 01.01.1999 in Kraft getretenen Psychotherapeutengesetz empfohlen. Die GT ist ein von anderen wissenschaftlich anerkannten Verfahren abgrenzbares Verfahren, in dem bundeseinheitlich die vertiefte Ausbildung nach § 8 Abs. 1 PsychThG stattfinden kann. Die zuständigen Behörden haben die Verfahrensbeschreibung des Gutachtens zu Grunde gelegt, dass der wissenschaftliche Beirat Psychotherapie am 30.09.1999 verabschiedet hat.

1.1 Wie soll die Anwendung dieses definierten Verfahrens in der vertragsärztlichen Versorgung gewährleistet werden?

Die GT wird seit Jahrzehnten ambulant und stationär angewendet (s. auch Gutachten des wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie vom 30.09.1999), Anträge auf Kostenerstattung wurden vor Inkrafttreten des PsychThG regelmäßig von den Medizinischen Diensten der Krankenkassen begutachtet.

An einer Stichprobe von 3.635 untersuchten klinischen Psychologen, die im Erstattungsverfahren vor in Kraft treten des Psychotherapeutengesetzes 1999 arbeiteten und mit den Krankenkassen abrechneten, wurden Art und Umfang der Weiterbildung in psychotherapeutischen Verfahren untersucht (Kindler, Tönnis & Wilker, 1997). Die GT stellte sich dabei mit 55,1 % als das weitverbreitetste Verfahren heraus.
Nach dem Umfang der absolvierten Weiterbildungsstunden befragt, ergab sich ein durchschnittlicher Weiterbildungsumfang von 511 Stunden, und es wurden während der gesamten Aus-, Weiter- und Fortbildungszeit Kenntnisse in 3-4 verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren erworben.
Wurden nur die außeruniversitären curricularen Weiterbildungen in psychotherapeutischen Verfahren berücksichtigt, so gaben 37,6 % der Befragten eine Weiterbildung in GT an. Dabei betrugen 58 % der außeruniversitären Weiterbildung einen Umfang von bis zu 499 Stunden, 43 % einen Umfang von 500 Stunden und mehr, 14 % einen Umfang von rund 1.000 Stunden und mehr sowie 5 % einen Umfang von 1.500 Stunden und mehr.
Von den Befragten gaben 49,9 % an, selbständig psychotherapeutisch tätig zu sein (operationalisiert durch einen Zeitanteil von mind. 75 % hauptberuflicher psychotherapeutischer Tätigkeit). Es ist davon auszugehen, dass diese Personen mehrheitlich eine Approbation als Psychologische Psychotherapeuten erhalten haben und in der Regel über eine Arztregistereintragung verfügen.
Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine ausreichende Anzahl hoch-qualifzierter Behandler mit Weiterbildung zum Gesprächspsychotherapeuten schon heute zur Verfügung stehen.
In der gleichen Erhebung wurde der Umfang der unterschiedlichen Begutachtungssysteme, nach denen die Krankenkassen die beantragten Therapiestunden bewilligten, gefragt. Demnach wurde in 21,9 % der medizinische Dienst der Krankenkassen, in 19,7 % direkte Kurzberichte an die Krankenkassen, in 19,6 % innerhalb des ärztlichen Systems begutachtet.

Nach Drießen (1996) war entsprechend einer Umfrage unter ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten in Schleswig-Holstein die GT nach der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie das am häufigsten angewendete Therapieverfahren.

Butollo, Piesbergen und Höfling (1996) belegten in einer Untersuchung an 243 psychotherapeutisch tätigen Psychologen in Bayern, dass die Mehrzahl der Psychotherapeuten gesprächspsychotherapeutische (humanistische) Verfahren einsetzte.
Von den befragten Psychotherapeuten gaben rd. 54 % an, eine postgraduierte Weiterbildung in GT erhalten zu haben. Die Ausbildung dauerte durchschnittlich 72 Monate mit 1.218 Stunden.

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen hat 1997 eine Veröffentlichung unter 1.100 Psychotherapeuten, die im Kostenerstattungsverfahren arbeiten, veröffentlicht (BDP 1997). Untersucht wurden 6.788 Kostenerstattungsanträge, von denen 4,74 % abgelehnt wurden. Die Notwendigkeitsbescheinigungen/Bewilligungen wurden in 60,62% der Fälle von einem Arzt mit Psychotherapie-Titel und in 36,9% von einem Arzt ohne Psychotherapie-Titel erstellt.

1.2 Über welche Qualifikation/Erfahrung müssen die behandelnden Gesprächspsychotherapeuten verfügen?

Die Ausbildung in GT hat in Deutschland eine über 40jährige Tradition. Sie erfolgte im Rahmen der klinischen Fachausbildung über die psychologischen Universitätsinstitute und im Rahmen von postgradualen- und Weiterbildungen. Entsprechende Curricula existieren seit Langem und sind hinsichtlich ihrer Methodik und ihrer Ergebnisse mehrfach Gegenstand besonderer Ausbildungsforschung gewesen (Birtsch und Tscheulin, 1980; Frohburg 1988). Die aktuellen Curricula entsprechen den vom Bundesministerium für Gesundheit erlassenen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen für Psychologische Psychotherapeuten (PsychTh-APrV) und für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJPsychTh-APrV) vom 18.12.1998.

Seit 2003 sieht die Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer Facharzt-Weiterbildungen (Psychiatrie und Psychotherapie) vor, für die GT als psychotherapeutisches Schwerpunktverfahren gewählt werden kann.

Ausbildungsstätten für Psychotherapeuten haben in mehreren Bundesländern Anträge auf staatliche Anerkennung zur vertieften Ausbildung in GT gestellt. Nach der Empfehlung des wissenschaftlichen Beirates zur Zulassung der GT als Verfahren der vertieften Ausbildung wurden positive Vorbescheide erteilt, so dass kurzfristig entsprechende Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden können.

Fragen zum diagnostischen und therapeutischen Nutzen

2. Ist eine Verbesserung der Patientenversorgung durch die GT im Vergleich zu den in Abschnitt BI 1. der Psychotherapie-Richtlinien genannten Verfahren nachweisbar?

Die Aufnahme der GT in den Leistungskatalog der GKV bedeutet eine Erweiterung und Verbesserung des vertragsärztlichen Versorgungsangebots. Durch die erweiterte Wahlmöglichkeit für Patienten, Therapeuten und Überweiser wird die Qualität der Versorgung verbessert und nicht nur deren Effektivität, sondern auch ihre Effizienz erhöht. Dies entspricht sowohl den individuellen Bedürfnissen psychisch Kranker als auch den ökonomischen Interessen der Versichertengemeinschaft.
Die fachliche Erweiterung der Therapiemöglichkeiten für den Indikationsbereich der Psychotherapie-Richtlinien auf die GT bedeutet insgesamt eine Verbesserung der Patientenversorgung aus der erweiterten Möglichkeit der Einzelfall gerechten Passung.

Strotzka hat Psychotherapie definiert als „ein bewusster und geplanter interaktioneller Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus (möglich zwischen Patient, Therapeut und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation) meist verbal aber auch averbal, in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (Symptom-minimalisierung und/oder Strukturänderung der Persönlichkeit) mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens. In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig." (1975).

In der Psychotherapieforschung der vergangenen Jahre hat sich ein allgemeines Modell von Psychotherapie (Orlinsky & Howard, 1988) durchzusetzen begonnen. Danach entscheiden über den Erfolg einer Psychotherapie 4 Passungen, die Therapieverfahren, Störungsbild des Patienten, Person des Therapeuten und Person des Patienten berücksichtigen.

Baumann (1996) hat darauf hingewiesen, dass „ein Überschreiten des Schuldenkens (...) für die wissenschaftliche und berufliche Weiterentwicklung der Psychotherapie dringend notwendig" ist. Dem gegenüber kann das herkömmliche Schulendenken als eher kontraproduktiv und ekklesial organisiert bezeichnet werden (Petzold, 1995). Psychotherapeuten mit „schmaler Interventionskompetenz" (Baumann, 1996) führen zu einer schlechteren Versorgung.

Ähnlich haben Weinberger (1995) und Grawe (1995) Therapieverfahren-übergreifende Faktoren der Wirksamkeit von Psychotherapie identifiziert. Weinberger nannte die therapeutische Beziehung, Erfolgserwartung, Konfrontation mit dem Problem, kognitive Kontrolle über das Problem und Erfolgs- bzw. Misserfolgs-Attribution durch den Patienten. Grawe nannte Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, aktive Hilfe zur Problembewältigung und motivationale Klärung.

Gleichwohl ergibt sich aus dem Vergleich der GT mit den Richtlinienverfahren, dass die GT ein eigenes Indikations- und Effektivitätsspektrum aufweist.

„Auswertungen von empirischen Untersuchungen mit differenzierten quantitativen und qualitativen Vergleichen der Effekte von psychodynamisch, verhaltens-therapeutisch und gesprächspsychotherapeutisch behandelten Patienten führten zu unterschiedlichen Ergebnissen: In einigen Studien fanden sich keine Indikations- und Effektivitätsunterschiede (beispielsweise in den Meta-Analysen von Smith u.a., 1980, im Vanderbilt-Projekt von Strupp, 1993), in anderen Studien ließen sie sich eindeutig ermitteln. So wurde gezeigt, dass unabhängig von bestimmten Diagnosen GT unter indikativem Aspekt besser als psychodynamische und verhaltenstherapeutische Verfahren geeignet ist für

  • Patienten mit wechselnden somatischen Beschwerden
  • Patienten mit diffusen Ängsten und Depressionen ohne identifizierbare Auslöser bzw. Verstärker und ohne erkennbaren inneren Konflikt
  • Patienten mit geringem Selbstbewusstsein und sozialen Rückzugstendenzen
  • Patienten mit ausgeprägtem Bedürfnis nach Autonomie, internaler Orientierung und hoher Reaktanzbereitschaft (u. a. Zielke, 1979, Grawe u. a., 1990, Beutler u. a., 1991, Grawe, 1992, Sachse, 1999)." Frohburg (2004)

2.1 Ist eine spezifische Überlegenheit der GT bei der Behandlung bestimmter Krankheitsbilder nachweisbar?

Eckert, Frohburg und Kriz (2004) befragten Patienten, die bei Mehrfachbehandlung zunächst eines der Richtlinienverfahren und später eine GT absolvierten. Die Patienten wurden gefragt, ob sie die GT besser nutzen konnten als die vorangegangenen Psychotherapien und mit welchen Bedingungen dies ggf. in Zusammenhang zu bringen ist. Die Datenauswertung ergab, dass die Patienten ihre GT für sich persönlich nicht nur als effektiv, sondern zum gleichen Verhältnis zu der vorangegangenen Richtlinien-Psychotherapie jeweils auch als effektiver und damit zufriedenstellender beurteilen.
Das steht damit in Zusammenhang, dass sie die Zielsetzungen und die Prozessbedingungen der GT, nicht aber die der jeweiligen Richtlinien-Psychotherapie als zu ihnen passend, ihren Erwartungen, ihren Bedürfnissen und ihrer Person entsprechend aufgreifen und das gesprächs-psychotherapeutische Beziehungsangebot in besonderer Weise annehmen und für sich nutzen konnten.
Die Untersuchungsergebnisse belegen, dass sowohl die Behandlungsergebnisse als auch der Wechsel zu einem anderen Therapieverfahren von den "Passungen von Patient(in) und Therapeut(in)" bestimmt werden, die in dem bereits erwähnten „Allgemeinen Modell der Psychotherapie" von Orlinsky & Howard beschrieben sind. GT hat die Möglichkeit, "Passungen" herzustellen, die von den bereits etablierten psycho-therapeutischen Richtlinien-Verfahren nicht in gleicher Weise erreicht werden konnten.

"Die GT ist bei gegebener Psychotherapie-Indikation in besonderem Maße erfolgversprechend für Patienten, die im Zusammenhang mit vergleichbaren psychischen und/oder psychosomatischen Störungen krankheitswertige Schwierigkeiten in der Gestaltung von Beziehungen aufweisen, die durch das für die GT charakteristische Beziehungsangebot überwunden werden sollen.
Die Ergebnisse der Studien von Frohburg 2003b und Eckert u. a. 2004 bestätigen bisherige Ergebnisse aus empirischen Vergleichsstudien, nach denen eine Indikation für GT besonders bei solchen Patienten besteht,

  • die einerseits nicht für ein systematisches Training und/oder systematische kognitive Analysen im Rahmen einer Verhaltenstherapie zu gewinnen sind und
  • die andererseits für eine Psychoanalyse oder eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie eine zu hohe 'Abwehr' haben.

Da persönliche Erwartungen an das Behandlungsangebot und die daraus abgeleitete individuelle Inanspruchnahme-Bereitschaft sowie Therapiemotivation bekanntlich in besonders engen Zusammenhang mit späteren Therapieergebnissen stehen, dürften diese empirischen Befunde zur verfahrensspezifischen Inanspruchnahme-Bereitschaft der Patienten von besonderer Bedeutung sein.
Fragt man erfahrene Psychotherapeuten unterschiedlicher Provenienz nach ihren praktischen klinischen Erfahrungen zur verfahrensspezifischen Indikation und Effektivität der GT, so ergibt sich z. T. in Übereinstimmung mit empirischen Einzelbefunden, dass sie als das bevorzugte, am ehesten erfolgversprechende Verfahren sehen wird

  • bei ängstlich-selbstunsicheren, bei misstrauisch-kontaktabwehrenden, sowie bei narzisstisch gestörten Patienten und bei solchen mit ausgeprägtem Autonomiebedürfnis,
  • bei Störungen, bei denen die genannten Persönlichkeitsmerkmale eine besondere Rolle spielen, also ängstlich-vermeidende, paranoide, schizoide und narzisstische Persönlichkeitsstörungen (ICD-10 F 60.6. 60.0-1, 60.8).
  • bei bestimmten Achse 1-Störungen wie generalisierten (chronifizierten) Angststörungen, bei mittelschweren bis schweren depressiven Störungen, schizophrenen Störungen, posttraumatischen Belastungsstörungen sowie bei diffusen Anpassungsstörungen vor allem in Form von Sinnkrisen, in konflikthaften Entscheidungssituationen und bei situations- und tätigkeitsunspezifischen Regulationsstörungen des affektiven Erlebens (ICD-10 F41.1, 32.1-2/33.1-2, 20, 43. 1-2)
  • bei schwer gestörten Patienten mit wechselnden somatischen Beschwerden.

Zudem haben Untersuchungen gezeigt, dass indiaktionskomponente Überweiser bei gegebener Wahlmöglichkeit einem Viertel bis gar der Hälfte ihrer Patienten eine GT empfehlen würden (47 % bei Eckert u. a. , 1997, 30 % bei Frohburg, 1995 bzw. 25 % bei Blaser, 1977). Sie halten sie eher als eine psychoanalytische, tiefenpsychologisch orientierte oder verhaltenstherapeutische Behandlung geeignet für den nicht unerhebelichen Anteil ihrer Patienten, die weder eine umschriebene Symptomatik mit identifizierbaren Auslösern bzw. Verstärkern noch einen psychodynamisch erklärbaren inneren Konflikt aufweisen (Blaser, 1977). (Frohburg 2004)

2.2 Wie kann die GT von der Verhaltenstherapie abgegrenzt werden?

s. Pkt. 1

2.3 Welchen zusätzlichen Nutzen erbringt die Gesprächspsychotherapie im Vergleich zur Verhaltenstherapie für die ambulante Versorgung?

Neben der wissenschaftlich nachgewiesenen Wirksamkeit eines psychotherapeutischen Verfahrens ist die Passung zwischen Patient, Therapeut, Indikation und Therapieverfahren entscheidend. Zur sachgerechten psychotherapeutischen Versorgung sind alle geeigneten Verfahren heranzuziehen, damit dem Versicherten das für ihn im Einzelfall passende Verfahren eingesetzt werden kann. In der Befragung von 243 bayerischen Psychotherapeuten gaben 65,5% an, innerhalb einer laufenden Therapie das therapeutische Verfahren zu wechseln (Butollo, Piesbergen und Höfling, 1996).

"Im Unterschied zur Verhaltenstherapie bewirkt GT einen Anstieg der internalen Kontrollerwartungen ihrer Patienten. GT behandelte Patienten orientieren sich zudem bei der Bewertung ihrer Veränderungen nicht nur an der Reduktion ihrer Symptomatik, sondern sie bringen ihre psychischen Störungen und deren Reduktion in stärkerem Maße als verhaltenstherapeutisch behandelte Patienten mit ihren (sozialen) Lebensbedingungen in Zusammenhang (u. a. Grawe & Plog, 1976, Sachse, 1999).
Die Studie zu Grawe & Plog (1976) zeigte, dass GT und Verhaltenstherapie (speziell Flooding und Habituationstraining) im Vergleich zur Kontrollgruppe die phobischen Symptome in hochsignifikanter Weise reduzierten und gleichzeitig verfahrensabhängig qualitativ unterschiedliche Wirkungen hervorbrachten: gesprächspsychotherapeutisch behandelte Patienten sahen ihre Phobie bei Therapieende in stärkerem Maße in Zusammenhang mit ihren Lebensbedingungen und gewannen zusätzlich eine Entscheidungs- und Wahlfreiheit. Bei verhaltenstherapeutische behandelten Patienten korrelierte die Veränderung der Befindlichkeit ausschließlich mit der Veränderung der phobischen Symptomatik. Ferner erzielt die GT ihre Wirkung vornehmlich bei den Patienten, die am Erkennen von Zusammenhängen zwischen ihrem Krankheitszustand und ihren persönlichen Lebensbedingungen interessiert waren, während Verhaltenstherapie besonders erfolgreich bei Patienten mit starken Phobien und ausgeprägtem Leidensdruck war." (Frohburg 2004)

2.4 Wie kann die GT von den psychoanalytisch begründeten Verfahren abgegrenzt werden?

s. Pkt. 1

2.5 Welchen zusätzlichen Nutzen erbringt die Gesprächspsychotherapie im Vergleich zu den psychoanalytisch begründeten Verfahren für die ambulante Versorgung?

"Im Unterschied zu psychodynamischen Psychotherapien bewirkt GT, dass Veränderungen von den Patienten über verbesserte Kontakt- und Beziehungsfähigkeit definiert werden, während psychodynamisch behandelte Patienten sich gebessert fühlen, wenn sie an Einsicht, innerer Autonomie und äußerer Unabhängigkeit gewonnen haben (vgl. Hamburger Kurztherapie-Vergleichsprojekt: u. a. Meyer, 1981, Meyer & Wirth, 1988, Eckert & Biermann-Ratjen, 1985)." Frohburg (2004)

2.6 Welcher zusätzliche Nutzen der Gesprächspsychotherapie ist nachweisbar

  • bezüglich einer Erweiterung des Indikationsspektrums?
    siehe Pkt. 2, 2.1, 2.3 und 2.5
  • hinsichtlich einer Verkürzung der Behandlungsdauer?
    siehe Pkt. 4.1
  • im Hinblick auf die Überlegenheit des Behandlunsgergebnisses?
    siehe Punkt 2

2.7 Über welchen Zeitraum können Katamnesen mit welchen Ergebnissen nachgewiesen werden?

"Auch Langzeitwirkungen von GT sind mehrfach untersucht worden. In einer kürzlich veröffentlichten Literaturrecherche von Frohburg (2003a) ließen sich 40 Studien ermitteln, die Angaben von annähernd 2000 ehemaligen Patienten enthalten. Diese Studien belegen positive Langzeiteffekte mit unterschiedlichen Messkriterien und -instrumenten für Patienten aus unterschiedlichen nach ICD bzw. DSM klassifizierten Indikationsbereichen und unter unterschiedlichen Behandlungsbedingungen. Das bedeutet, dass die bei Therapieende registrierten Veränderungen in den krankheitswertigen psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen der Patienten in der Regel auch langfristig erhalten geblieben sind. In 20 % der Studien handelt es sich dabei um über ein Jahr hinausgehende katamnestische Beobachtungen.
In jeder zweiten dieser Katamnesestudien konnte zudem festgestellt werden, dass über die unmittelbar nach Abschluss der Therapie festgestellten positiven Veränderungen hinausgehend im Katamnesezeitraum weitere Verbesserungen eingetreten sind. Es kann demnach auf Grund der empirischen Befundlage auch längere Zeit nach einer GT mit prolongierten Veränderungsprozessen im Erleben und Verhalten der Patienten und damit mit zusätzlichen positiven Therapieeffekten i. S. von "Späteffekten" gerechnet werden.
Auswertungen von empirischen Untersuchungen mit globalen quantitativen Vergleichen der Effekte von psychodynamisch, verhaltenstherapeutisch und gesprächs-psychotherapeutisch behandelten Patienten haben [zwar] ergeben, dass alle Verfahren in etwa gleichem Ausmaß wirksam sind. Im Hinblick auf die üblichen diagnostischen symptom- und syndromorientierten Klassifikationssysteme und auf die gängigen, demografischen Daten und unter Verwendung von Gruppen-Mittelwerten und Effektstärken ließen sich keine für die klinische Praxis wesentlichen verfahrensabhängigen Unterschiede und damit auch keine für die GT spezifischen Indikationen und Effekte ermitteln. Gegenwärtig gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, welches Psychotherapieverfahren bei Patienten mit bestimmten Störungen summa summarum "besser" oder "am besten" ist (u. a. Luborsky u. a., 1975: „Everybody has won, all must have prizes").
Die vorliegenden komparativen Katamnesestudien allerdings belegen auch bei Verwendung globaler Kriterien "Späteffekte" als besonderes verfahrensspezifisches Charakteristikum gesprächs-psychotherapeutisch behandelter Patienten und dokumentieren damit einen besonderen Vorteil in der Nachhaltigkeit gesprächspsychotherapeutisch induzierter Effekte im Vergleich zu denen aus psychodynamischen und verhaltenstherapeutischen Behandlungen (Frohburg, 2003a)." Frohburg (2004)

Fragen zur Wirtschaftlichkeit

4. Gibt es Belege aus der vergleichenden Psychotherapieforschung zur Wirtschaftlichkeit der GT im Vergleich zu den in Abschnitt B I. 1. der Psychotherapie-Richtlinien genannten Verfahren?

"Aus der Praxis der GT lassen sich für den ambulanten Bereich mittlere Behandlungszeiten von 25 - 70 Stunden ermitteln (Biermann-Ratjen u. a., 2003). Ambulante GT wären damit in finanzieller Hinsicht kostengünstiger als Psychoanalysen und in etwa gleich aufwendig wie tiefenpsychologische Psychotherapien und Verhaltenstherapien.

Klinische Erfahrungen und empirische Effektivitätsstudien deuten darauf hin, dass die ökonomisch relevante Quote der Behandlungsfehlschläge durch vorzeitigen Therapieabbruch bei ca. 20 % und durch unzureichende Behandlungsergebnisse bei ca. 25 % liegt (Grawe u. a., 1994, Lambert u. a., 2002). Zwischen 30 und 45 % (Brockmann u. a., 2002, Frohburg, 2003b) aller ambulant behandelten GKV-Patienten haben bereits eine oder mehrere Psychotherapien absolviert und wechseln bei einem erneuten Behandlungsversuch den Therapeuten und/oder das Therapieverfahren. Ergänzend dazu teilen Schütte u. a. (2003) mit, dass in 11 % der Fälle, in denen Patienten nicht in eine Psychotherapie aufgenommen wurden, die "persönliche Passung" nicht gegeben war:

Es ist davon auszugehen, dass in allen Gruppen Patienten sind, denen auf Grund verbesserter "Passungen" mit GT geholfen werden kann und dass dadurch die Häufigkeit von kostenintensiven Mehrfachbehandlungen, Therapieabbrüchen und evtl. Chronifizierungen durch auf Grund ungünstiger Erfahrungen nicht wieder aufgenommene Psychotherapien reduziert werden kann." Frohburg (2004)

4.1 Welche Behandlungskontingente und Behandlungsdauer / -frequenz werden durchschnittlich je Fall zu erwarten sein?

Aus der Praxis der GT lassen sich für den ambulanten Bereich mittlere Behandlungszeiten von 25 – 70 Stunden ermitteln (Biermann-Ratjen u. a., 2003).

Fragen zur Qualitätssicherung

5. Welche Vorgaben werden von den Vertretern der GT zu Maßnahmen der Qualitätssicherung, und zur Dokumentation der Behandlung gemacht?

Frohburg (2004) schreibt hierzu:

"Die Prozessqualität von GT kann über Ratings zu wesentlichen effetktdeterminierenden Merkmalen kontrolliert und optimiert werden. Zu erwartende Erfolge bzw. Misserfolge einer können mittels verschiedener Klienten-Erfahrungsbögen aus den Reaktionen der Patienten auf spezifische GT Situationen bereits nach der ersten Therapiesitzung vorausgesagt werden (Biermann-Ratjen u. a., 2003).

Die Verpflichtung zur regelmäßigen kollegialen Supervision währen der gesamten Dauer der Berufsausübung gehört seit Jahrzehnten zu den Regularien der die GT in Deutschland vertretenden Fachverbände und ist damit traditioneller Qualitätsstandard für die heilkundlich tätigen Gesprächspsychotherapeuten. In konzeptioneller Hinsicht sind gerade von der GT wesentliche Impulse für das Verständnis und für die Praxis kompetenter Fallsupervision im gesamten psychotherapeutischen bzw. psychosozialen Bereich ausgegangen (Auckenthaler, 1995)."

7. Angaben zur Institution

Präsidentin des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP), Frau Dipl.-Psych. Gertraud Richardt, Hauptgeschäftsführer des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V., Herr Dipl.-Psych. Armin Traute.

Der BDP vertritt rund 9.000 Approbierte Psychologen mit unterschiedlichem Weiterbildungshintergrund. Darunter befinden sich auch Psychologen, die aufgrund der vom wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie als wissenschaftlich anerkannten Verfahren keine Zulassung zur Abrechnung mit den Krankenkassen erhalten haben. Die überwiegende Mehrheit der niedergelassenen Approbierten Psychologen behandelt nach einem der 3 Richtlinien-Verfahren.

Der BDP besitzt als 100%iger Eigentümer ein Ausbildungsinstitut für Psychotherapie in Berlin, an dem angehende Therapeuten in den 3 Richtlinien-Verfahren ausgebildet werden. Sollte die GT als Richtlinien-Verfahren anerkannt werden, würde der BDP sein Ausbildungsangebot entsprechend erweitern.

Veröffentlicht am:
Kategorien:
Stellungnahme
Logo Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.

Wir unterstützen alle Psychologinnen und Psychologen in ihrer Berufsausübung und bei der Festigung ihrer professionellen Identität. Dies erreichen wir unter anderem durch Orientierung beim Aufbau der beruflichen Existenz sowie durch die kontinuierliche Bereitstellung aktueller Informationen aus Wissenschaft und Praxis für den Berufsalltag.

Wir erschließen und sichern Berufsfelder und sorgen dafür, dass Erkenntnisse der Psychologie kompetent und verantwortungsvoll umgesetzt werden. Darüber hinaus stärken wir das Ansehen aller Psychologinnen und Psychologen in der Öffentlichkeit und vertreten eigene berufspolitische Positionen in der Gesellschaft.

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen