Stellungnahme des BDP zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 30.09.2024 - Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit (Gesundes-Herz-Gesetz – GHG)

Stellungnahme

Berlin, 5.11.2024

Vorbemerkung

Mit dem vorgelegten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Herzgesundheit – kurz: Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) – wird das Ziel verfolgt, die Herz-Kreislauf-Gesundheit in der Bevölkerung zu stärken. Dieses soll mit folgenden Teilzielen erreicht werden: die entsprechende Krankheitslast senken, die Früherkennung verbessern, die medizinische Prävention stärken, die Krankheitsversorgung verbessern und entsprechende Lebensstilfaktoren verändern. Die Stärkung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention ist bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und allen anderen großen Volkskrankheiten von besonderer Bedeutung für Kosten und Lebensqualität und wird daher vom Berufsverband in hohem Maße begrüßt.

Dem Gesetzentwurf nach soll die medizinische Prävention gestärkt werden. Leider fehlen notwendige ‚Herzstücke‘ einer psychischen Prävention gegenüber Herz-Kreislauf-Erkrankungen (auch im Sinne einer Psychokardiologie): Stress besser bewältigen, soziale Einsamkeit besser bewältigen, soziale Kompetenzen fördern für gesunde mitmenschliche Beziehungen, für ‚herzliche‘ Kommunikationen und Beziehungen und zur Bewältigung von mitmenschlichen ‚Herzensproblemen‘.

Folgende Ansatzpunkte sehen wir für Nachbesserungen des Gesetzentwurfes:


1) Biopsychosoziales Gesundheitsverständnis für die Herz-Kreislauf-Gesundheit

Für die Herz-Kreislauf-Gesundheit ist ein biopsychosoziales Gesundheitsverständnis besonders wichtig.

„Psychosoziale Faktoren wie niedriger sozialer Status, akuter oder chronischer Stress, Depression oder Angst [ergänzt: und Mangel an sozialer Unterstützung] sind mit einem erhöhten kardiovaskulären Erkrankungsrisiko und mit einem ungünstigeren Verlauf nach Krankheitseintritt verbunden.“ (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, 2018)

Gemäß des Gesetzentwurfes zum GHG sollen bei den Lebensstilfaktoren „insbesondere“ Bewegungsaktivitäten und gesunde Ernährung gefördert werden. „Die Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten nach diesem Gesetzentwurf sollen daher nicht an die Stelle von, sondern neben Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung und mehr Bewegung treten.“ Der BDP begrüßt die Rücknahme der vorgesehenen Kürzungen nach dem GHG und die Weiterfinanzierung von Präventionsmaßnahmen. Unter den veränderbaren Lebensstilfaktoren wird leider keine Stressbewältigung erwähnt. „Stress … ist er einer der größten vermeidbaren Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ (Deutsche Herzstiftung)

Im Gesetzentwurf wird zwar die hohe Bedeutung einiger verhaltensbezogener Risiken in Bezug auf Bewegung, Ernährung und Tabakkonsum angesprochen, die Auswahl der genannten Risiken und der zu fördernden Maßnahmen ist jedoch sehr lückenhaft und lässt die in der Gesundheitsversorgung angestrebte starke Evidenzbasierung vermissen.

Diese Lücke erscheint allerdings nicht zufällig, steht sie doch im Einklang mit der Einseitigkeit des Regelungsentwurfes für eine begrenzte rein medizinische und somatische Perspektive auf Gesundheit.

Im Referentenentwurf zum GHG sind an keiner Stelle psychosoziale Faktoren zur Herz-Kreislauf-Gesundheit erwähnt. Aus Sicht des BDP erscheint es daher dringend nötig, für den Gesetzesentwurf ein umfassenderes biopsychosoziales Verständnis von Gesundheit zu berücksichtigen, auch gemäß dem Gesundheitsverständnis der WHO von biopsychosozialem Wohlbefinden.

Im Kontext eines biopsychosozialen Verständnisses von Herz-Kreislauf-Gesundheit und ihren Störungen liefert hier die noch junge Versorgungsform der Psychokardiologie fachliche Ansätze zur Prävention und Versorgung.

Der BDP fordert die Orientierung an einem biopsychosozialen Verständnis von Gesundheit, auch gemäß dem Gesundheitsverständnis der WHO und die intensive Berücksichtigung evidenzbasierter Verhaltenspräventionsmaßnahmen. Für die Förderung von Herz-Kreislauf-Gesundheit weist der BDP eindringlich auf die Verbesserung biopsychosozialer Maßnahmen der primären Prävention und Gesundheitsförderung in der Gesundheitsversorgung hin.
 

2) Prävention und Gesundheitsförderung evidenzbasiert erhalten und stärken

Das Präventionsgesetz „Primäre Prävention und Gesundheitsförderung“ (§ 20 SGB V) bietet seit Jahren gute Möglichkeiten, die individuelle Gesundheitskompetenz zu verbessern und die oben genannten Lebensstilfaktoren inclusive Stressbewältigung zu modifizieren.

Der BDP stimmt mit seiner Position in diesem Punkt nicht nur mit derer vieler Krankenkassen und anderer Akteure überein, sondern auch mit der des G-BA, der die Primärprävention als „überragend wichtig“ ansieht und für die Beibehaltung der Maßnahme nach Paragraf 20 plädiert. In seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf äußert der G-BA sein Bedauern, „dass der Kabinettsbeschluss der Primärprävention nicht die Bedeutung beimisst, die ihr zukommen sollte. … Gerade bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann in vielen Fällen aber eine gesundheitsbewusstere Lebensgestaltung und Änderung des Lebensstils wesentlich effektiver sein, als die lebenslange Verabreichung von Medikamenten.“

Durch Krankenkassenleistungen zur verhaltensbezogenen Prävention können Versicherte an Präventionskursen teilnehmen. Aus psychologischer Sicht sind vor allem Kurse zur Stressbewältigung mit präventiven Wirkungen für die Herz-Kreislauf-Gesundheit verbunden. Teilnehmer*innen an solchen Kursen können dabei wertvolle Effekte wechselseitiger gruppentherapeutischer Verständigung über Probleme und Problemlösungen erleben, sie können soziale Unterstützungen erfahren und dadurch Gefühle des Alleinseins mit Problemen überwinden, was einen wichtigen biopsychosozialer Präventionsaspekt gegenüber Herzerkrankungen darstellt.

Dem Referentenentwurf zum GHG nach sollen für die „Primäre Prävention und Gesundheitsförderung“ die Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention – gegen den Sinn des Gesetzes – deutlich vermindert werden durch a) Ausgaben für Leistungserweiterungen bei Gesundheitsuntersuchungen, b) ärztliche Empfehlungen zu Tabakentwöhnungen und Übergewichtsreduktionen (EBM-Leistungen, die sonst kassenärztlich abgerechnet werden), sowie c) Medikamente zur Nikotinentwöhnung.

Im vorherigen Referentenentwurf waren für die bisherigen Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention zum Jahr 2024 186 Mill. Euro berechnet. Nun sollen 10 Mill. Euro für Nikotinentwöhnungsmedikamente, 40 Mill. Euro für Leistungserweiterungen im Rahmen der Gesundheitsuntersuchungen sowie mehr als 10 Mill. Euro für Vergütungen für Empfehlungen zur Tabakentwöhnung und Reduktion von Übergewicht nach dem EBM-Maßstab vorgehalten werden. Bezüglich der Empfehlungen zur Tabakentwöhnung und Reduktion von Übergewicht ist deren Evidenz und Effektivität sehr fragwürdig. Weiterhin gibt es nach unserer Kenntnis bisher keine Regelungen zur Finanzierung von EBM-Leistungen aus Finanzvolumen außerhalb der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Der BDP kritisiert scharf die Verminderung finanzieller Aufwendungen von Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention im Rahmen der Primärprävention bzw. deren Ersatz durch andere Maßnahmen, für die es noch keine ausreichende Evidenz gibt.
 

3) Fixierung des geplanten GHG-Gesetzes auf Teilmaßnahmen mit mangelnder Evidenz

Der BDP begrüßt die Einführung eines neuen Disease-Management-Programms (DMP) für Versicherte mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dort und in einem Gesundes-Herz-Gesetz sollte ein biopsychosoziales Gesundheitsverständnis für die Herz-Kreislauf-Gesundheit maßgeblich sein und explizit im Gesetz benannt sein. Im Kontext der Psychokardiologie sollten ebenso mehrere psychosoziale Perspektiven für die Herz-Kreislauf-Gesundheit benannt werden.

Für Früherkennungsuntersuchungen ist es ebenso sinnvoll, biopsychosoziale Aspekte zu erfassen. Dazu sollten Untersuchungsmethoden und standardisierte Fragebogen im Forschungsprozess entwickelt und nach Kriterien der Testtheorie überprüft werden. Nicht nur im Hinblick auf Vorbeugung, Krankheitslast und Vermeidung ökonomischer Kosten sowie Komorbidität, sondern auch zur Vermeidung von Belastung und Leid ist ein zielgenauer Einsatz von Präventionsmitteln von hoher Bedeutung.

Der BDP fordert in der Gesundheitsversorgung und insbesondere in der Prävention einen breiten Ansatz entsprechend einem biopsychosozialen Gesundheitsverständnis (auch im Sinne der WHO), insbesondere bei der Herz-Kreislauf-Gesundheit und den weiteren bedeutsamen großen Volkskrankheiten. Eine neutrale Nutzenbewertung, die den größtmöglichen Nutzen für die Bevölkerung hebt und möglichst wenig beeinflusst ist durch Lobby- und Berufsgruppeninteressen bzw. durch verengte Perspektiven und Wissensstände einzelner Entscheidungsträger und Organisationen ist von hoher Bedeutung. Bei der Gestaltung der Strukturen im Gesundheitswesen ist daher aus Sicht des BDP eine wissenschaftsbasierte und beteiligungsorientierte Vorgehensweise sinnvoll und zu erhalten.


4) Umverteilung der Mittel für Prävention mit fraglichem Nutzen

Im Referentenentwurf werden diagnostische und medikamentöse Maßnahmen sowie Apothekenleistungen finanziell besonders gefördert. Paradoxerweise werden für diesen Zweck die Mittel für die bestehenden evidenzbasierten Maßnahmen zur Prävention umgeschichtet und somit deren Inanspruchnahme und Nutzen deutlich vermindert.

Dies ist im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzes nicht nur intentionswidrig, sondern könnte zu weiteren Kostensteigerungen im Gesundheitswesen und zudem geringerer Effektivität führen. Wenn diagnostische Strategien und Behandlungsmaßnahmen ausgedehnt werden, darf dies nicht zulasten evidenzbasierter Gesundheitsförderung und Prävention gehen.

Aus Sicht des BDP erscheint es demgegenüber erforderlich, Gesundheitsförderung und Prävention im Sinne eines biopsychosozialen Gesundheitsverständnisses weiter auszubauen. Insbesondere sind settingbezogene Maßnahmen weiter auszubauen, in Schulen, für „gesunde Arbeit“ und auch nachweislich hoch effektive Ansätze gemeindepsychologischer Gesundheitsförderung in der Fläche zu nutzen.


Als größter psychologischer Berufsverband gehören Prävention, Gesundheitsförderung und die Erhaltung psychischer Gesundheit und Fitness zu unseren Schwerpunktthemen und Aktionsfeldern. Gerne stehen wir für Fragen und Anregungen zur Verfügung.
 

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Thordis BethlehemMaximilian RieländerFredi Lang
Präsidentin Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP)Vorsitzender der Sektion Gesundheits- und Umweltpsychologie im BDPReferatsleiter Fach- und Berufspolitik
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Psychologie und Gesundheit
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