Brief an die Kultusministerkonferenz
Sehr geehrte Damen und Herren
der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) begrüßt den Vorschlag von Bundesinnenminister Schily in einem Interview mit dem "Münchner Merkur", alle Schulen mit jeweils einem Schulpsychologen auszustatten. Aus unserer Sicht besteht an den Schulen ein stark gewachsenes Konfliktpotenzial und ein zunehmender schulpsychologischer Beratungsbedarf. Das deckt sich mit einer empirischen Studie der Universität Bamberg, derzufolge bei 20 bis 25 Prozent aller Schüler im Verlauf ihrer Schulzeit psychologische Hilfe angeraten erscheint. So brauchen Lehrer und Schüler Unterstützung bei der Bearbeitung und Bewältigung von Konflikten. Auch bei Konzentrationsschwächen, Lern- und Verhaltensproblemen sowie der Stressbewältigung können Psychologen helfen.
Die Forderung nach einer besseren Ausstattung mit Schulpsychologen erhebt der Verband nicht erst seit der Bluttat von Erfurt. Mit einem Schulpsychologen für 15.000 Schüler liegt Deutschland im OECD-Vergleich weit abgeschlagen. In Finnland, das bei der Pisa-Studie mit am besten abschnitt, ist ein Psychologe für 800 Schüler zuständig, in Schweden für 1.500.
Anfang der 70er Jahre erhobene Forderungen der Kultusministerkonferenz nach einem Verhältnis von immerhin 1:1.500 sind nicht erfüllt worden. Wahrnehmungspsychologisch ist es interessant, dass ein außergewöhnliches Ereignis wie Erfurt die Bereitschaft zu Veränderungen verstärkt. Das war schon bei BSE so und scheint auch in diesem Fall zuzutreffen. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der politisch Verantwortlichen (nach Erfurt) sollte genutzt werden, um trotz angespannter Finanzlage, in der eher ans Sparen als an die Bewilligung zusätzlicher Stellen gedacht wird, unverzüglich die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen. Auch wenn das von Minister Schily formulierte Ziel, jede Schule mit einem Schulpsychologen auszustatten, nur schrittweise zu erreichen ist, dürfen wir diesen vernünftigen Gedanken doch keine Minute aus den Augen verlieren.
Dabei setzen wir auf Ihre Unterstützung und erklären zugleich unsere Kooperationsbereitschaft. Bei einem möglichst kurzfristig zu vereinbarenden Gespräch sollten wir Konzepte und Wege zur Umsetzung erörtern.
Schulpsychologen können Taten wie die von Erfurt nicht völlig ausschließen. wenn wir durch Beratung und Konfliktbewältigungsstrategien jedoch insgesamt zu einer Verminderung des Aggressionspotenzials beitragen, dann lohnt sich die Investition. Im übrigen finanziert sich schulpsychologische Beratung nach einer gewissen Zeit selbst.
Wenn es mit ihrer Hilfe gelingt,
- die hohe Zahl der Klassenwiederholungen,
- das Versagen von Schülern im Probehalbjahr,
- die zahl der Schüler ohne Schulabschluss und
- die Abbruchquote bei Auszubildenden an OSZ zu reduzieren,
- Schulversager frühzeitig aufzufangen sowie
- durch Beratung und Supervision die Motivation bei Lehrern zu steigern und den Krankenstand zu reduzieren,
dann können enorme Kosten im Schulsystem gespart werden.
Wir erwarten Ihre Terminvorschläge für ein Gespräch.
Gertraud Richardt
Präsidentin des BDP
Dr. Bernd Jötten
Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie