Disruption, gebaute Arbeitsumwelt und ihre Auswirkungen auf Wohlbefinden und Workflow
Globalisierung, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz werden die uns bekannte und vertraute Arbeitswelt radikal verändern. Der Psychologe und Innenarchitekt Andreas Hegenbart, einer der Referenten beim Landestag der Psychologie in Stuttgart am 13. Juli, erklärt im Interview, wie Architekten und Psychologen sich kreativ an diesen Veränderungen beteiligen oder ihnen gegebenenfalls mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung auch entgegentreten sollten.
Christa Schaffmann: Wissen wir bereits genug darüber, wie Disruption unsere vertraute Arbeitswelt verändern wird? Oder bewegen wir uns da im Bereich Spekulationen? Anders gesagt: Kommt der Landestag der Psychologie zu diesem Thema zu früh?
Andreas Hegenbart: Wir dürfen nicht warten bis sich etwas entwickelt hat; dann ist die Gestaltung bereits passiert. Vielmehr müssen wir uns jetzt damit auseinander setzen, was ist, was beabsichtigt ist und was zu erwarten ist. Man kann aus meiner Sicht nicht früh genug damit beginnen, Vorstellungen zur Gestaltung einzubringen und Prozesse so zu beeinflussen.
Absichten können sich je nach Akteur unterscheiden.
Das ist richtig und kann im konkreten Fall zu einer Machtfrage werden. Ein Grund mehr, sich schon jetzt mit dem Thema zu befassen.
Bevor wir ins Detail gehen: erklären Sie den Lesern bitte, was Kollaboration im Kontext mit Veränderungen in der Arbeitswelt bedeutet?
Kommunikation umfasst das bloße Teilen von Informationen. Wenn die Beteiligten gemeinsame Ziele erreichen wollen, müssen sie ihre Handlungen zusätzlich koordinieren. Wenn sie auch Ressourcen teilen und gemeinsam, arbeitsteilig an einer Sache arbeiten, sprechen wir von Kooperation. Als Kollaboration wird schließlich ein wechselseitiges Engagement verstanden, um ein Problem oder eine Aufgabe gemeinsam zu lösen. Kollaboration stellt die höchsten Anforderungen an Kooperationspartner. Dazu wird unter anderem vom Collabo-Team an der Universität Göttingen geforscht. Das geschieht in Zusammenarbeit mit Unternehmen aus dem niedersächsischen Raum. Es handelt sich dabei um international jetzt schon operierende Firmen. Die Forschenden wollen herausfinden, wie man über weite Entfernungen internetbasiert zusammenarbeitet, wie sich ggf. Führung und Führungskultur verändern und was es bedeutet, wenn die Face-to-Face-Kommunikation (gemeint ist die analoge, nicht die digitale) fehlt. Zudem stellt die Zusammenarbeit über Zeitzonen hinweg eine Herausforderung dar, über deren Folgen wir noch wenig wissen. Meetings – so viel ist klar – finden für die eine Seite nachts, für die andere tagsüber statt. Daraus erwachsen Belastungen, die es erträglich zu gestalten gilt.
Wieviel hat das alles mit Psychologie zu tun?
Für Wirtschaftspsychologen eröffnen sich interessante Aufgabenfelder. Sie können als Berater bei der Lösung auftretender Probleme helfen, selbst Lösungsvorschläge mit Teams erarbeiten oder durch eine kompetente Folgenabschätzung geplanter Maßnahmen rechtzeitig falsche Entscheidungen verhindern. Die gebaute Arbeitsumwelt mit ihren Auswirkungen auf Gesundheit, Wohlbefinden und Workflow betrifft aber auch Gesundheits- und Umweltpsychologen, unter Umständen auch Klinische Psychologen ins Spiel, denn das Verschwimmen der Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit oder das Thema Achtsamkeit werden an Bedeutung gewinnen. Wer sich damit näher beschäftigen will, sollte die internetbasierten digitalen Werkzeuge kennen und ihre Wirkung auf den Menschen einschätzen können.
Sie haben international operierende Firmen erwähnt, mit denen das Collabo-Team kooperiert. Heißt das, kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) stehen keine vergleichbaren Änderungen bevor, oder sind sie für die KMU nicht von Interesse?
Ich bestreite, dass Kollaboration für diese Unternehmen weniger interessant ist. In kleinen und mittleren Unternehmen sind jedoch die Voraussetzungen für eine gute Integration in den betrieblichen Ablauf nicht immer gegeben. Die digitale Aufrüstung auf inner- und zwischenbetrieblicher Ebene, schreibt Paul 2018 sinngemäß, setzt voraus, dass man Klarheit über die Anwendungsbereiche und das Verhältnis von Nutzen und Aufwand hat, dass man die notwendigen Kompetenzen für den Umgang auf, dass die Anwendungen in die bestehende IT‐Landschaft integriert werden können und die Technologien in die organisatorischen Strukturen und Abläufe des eigenen Unternehmens eingebaut werden. Zudem müssten die Beschäftigten auf Einsatz und Gebrauch vorbereitet werden und den direkten Nutzen und Gebrauchswert der neuen Anwendungen für die Arbeit erfahren.
Bitte erklären Sie das an einem Beispiel.
Ich hatte das Vergnügen, von meinem Standort Konstanz aus in Berlin an der Entwicklung eines Wegeleitsystems für sechs Bibliotheken-Standorte mitzuarbeiten. Die Standorte mussten miteinander in Kontakt sein, an allen musste eine Bestandsaufnahme stattfinden, verschiedene Hierarchie-Ebenen galt es zu verbinden und verschiedene beteiligte Berufsgruppen, wie z.B. Kommunikations- und Grafikdesigner, Bibliothekseinrichter, Hersteller und Innenarchitekten. Wir saßen jeweils an verschiedenen Orten in Deutschland. Ein kollaboratives Werkzeug musste her. Wir entschieden uns für die CAI®-World-Plattform. Das ist eine Plattform für online-Meetings in geschützten Räumen, die man ganz einfach per Browser nutzen kann. Wir mussten dadurch weniger reisen, was eine große Erleichterung bedeutete. Zudem sparte es Zeit und Kosten. Gemessen an dem, was große international agierende Unternehmen auf diesem Gebiet tun, war das eine bescheidene Lösung.
Ich habe lauter Leute vor Augen, die vor ihrem Bildschirm sitzen, was keine große Veränderung wäre. Welche Technik haben Sie im Sinn?
Tatsächlich spreche ich von ganzen Wänden, die sich in Bildschirme verwandeln. Wer darauf schaut, fühlt sich in den Arbeitsraum der Kollegen hunderte oder tausende Kilometer entfernt versetzt. Wir müssen also nicht nur über die Frage nachdenken, welche Technik angeschafft werden muss, sondern auch, welche räumlichen Voraussetzungen nötig sind.
Es geht also nicht nur um Videokonferenzen?
Genau. Es geht darum, sich permanent in virtuelle Räume ein- und ausklinken, Kontakt aufnehmen und beenden zu können. Das geht bis zu informeller Kommunikation.
Wie soll informelle Kommunikation möglich sein?
Der analoge Arbeitsplatz wird virtuell so erweitert, dass er einem wie ein zweiter analoger Arbeitsplatz erscheint, der Teil des eigenen Raumes ist. Selbst an Räume, in denen man sich zum Kaffee in der Pause trifft, ist gedacht, denn auch die dort stattfindende Kommunikation soll für alle zugänglich sein, den Kontakt persönlicher und vertrauensvoller machen. Damit soll ersetzt werden, was sonst an informeller Kommunikation in der Kantine, bei Begegnungen am Kopierer oder wo immer stattfindet.
Damit gibt es keinen privaten Raum mehr?
Nicht zwingend. An der Hochschule für Angewandte Psychologie in Zürich wird dazu geforscht. Nach ihren Angaben sind knapp die Hälfte (47 %) der 4,8 Millionen Schweizer Beschäftigten in standortverteilten Orten tätig. Dies habe zur Folge, dass das Zustandekommen informeller Kommunikation in Organisationen erschwert wird und sich reduziert. Die Zürcher Kollegen verfolgen mit der Einführung von Orten virtueller informeller Kommunikation (OVIK) das Ziel, Orte mittels einer permanenten, audiovisuellen Übertragung so miteinander zu verbinden, dass eine informelle Kommunikation zwischen Personen über Distanzen hinweg ermöglicht und gefördert wird. Sie schreiben auf ihrer Webseite: „ Ein wichtiger Aspekt der Einführung virtueller Begegnungszonen besteht darin, eine breite Technologieakzeptanz bei den Nutzenden herzustellen. Durch kontrastierende Fallstudien eines misslungenen bzw. erfolgreichen virtuellen Cafés konnte gezeigt werden, dass die Akzeptanzfaktoren Transparenz, Kontrollmöglichkeiten, partizipative Einführung und die Formulierung von Rahmenbedingungen den wahrgenommen Nutzen beeinflussen. Bedienbarkeit und Qualität der Technologie sind Schlüsselfaktoren, die direkt auf die Nutzerakzeptanz eines solchen virtuellen Cafés Einfluss haben, sie fördern oder einschränken können.“
Gehen Sie davon aus, dass persönliche Begegnungen eines Tages überflüssig werden?
Nein. Man braucht analoge Begegnungen, um eine bestimmte Art von Vertrauen entstehen zu lassen. Teambildung wird auch in Zukunft analog besser gelingen. Und da Gerüche noch nicht übertragen werden können, bleibt auch das Element des Sich-Riechen- (oder eben Nicht-Riechen) Könnens auf die analoge Begegnung angewiesen. Die neuen virtuellen Räume werden aber den Unterschied zwischen persönlicher Begegnung und virtuellem Zusammentreffen, das heute noch häufig als defizitär beschrieben wird, stark verringern.
Die Zyklen der Veränderung der Arbeitswelt beschleunigen sich stark. Welche Konsequenzen resultieren daraus, dass der Lebenszyklus von Gebäuden fast unverändert mehrere Jahrzehnte umfasst und der Innenraumzyklus zwischen zehn und zwanzig Jahre?
Erhebliche. Manches daran können wir nicht ändern. Gebäude müssen sorgfältig geplant und gebaut werden. Das wird für die Teilnehmer des Landestages der Psychologie auch am Beispiel des Dokumentarfilms „Work hard – play hard“ (2011) deutlich werden. Der Film zeigt: Das Streben nach Gewinnmaximierung und grenzenlosem Wachstum hat die Ressource Mensch entdeckt. Carmen Losmann hat einen zu tiefst beunruhigenden Film über moderne Arbeitswelten gedreht. Dieser Film macht aber auch deutlich, an welcher Stellschraube sich negative Folgen aus den Lebenszyklen von Gebäuden und Innenraum zumindest mindern lassen: Einbeziehung der Mitarbeiter ist das Zauberwort. Sie werden meist nicht gefragt, was sie brauchen, um gut miteinander arbeiten zu können. Architekten gehen mit einem heuristischen Wissen an solche Aufgaben. Sie beraten sich mit der Unternehmensführung, selten mit den Mitarbeitern. Psychologen sind in der Regel nicht beteiligt. Das muss man ändern. Sie würden ganz andere Fragen stellen und andere Probleme aufwerfen. Wären Psychologen dabei gewesen, als das im Mittelpunkt des Films stehende Gebäude geplant wurde, hätte der Film womöglich anders ausgesehen oder es wäre nie zu den Fehleinschätzungen über die positiven Effekte von Großraumbüros gekommen. Wir wollen mit dem Landestag und noch stärker mit dem Anfang 2010 folgenden Fachtag Wirtschaftspsychologie eine Offensive zur besseren Verknüpfung von Architektur und Psychologie starten.
Viel Erfolg dabei und vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christa Schaffmann.