PsychThG-Entwurf: Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten brauchen eine fundierte psychologische Qualifikation
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Novellierung des PsychThG: Die Einheit von Psychologie und Psychotherapie muss erhalten bleiben
Nach langer Diskussion liegt nun ein Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vor. Zentrale Forderungen wie ein bundesweit einheitlicher Zugang zur Psychotherapieausbildung und ein bessere Bezahlung der Studienabsolventinnen und -absolventen in der Weiterbildungsphase werden darin zwar angegangen, jedoch stellt der Referentenentwurf die Einheit der Psychologie in Frage, indem er das Psychotherapiestudium von einem qualifizierten Psychologiestudium abkoppeln will.
Der Spaltpilz wurde vor 20 Jahren mit dem Psychotherapeutengesetz gesät. Seither wird von zwei Berufen gesprochen, anstatt die Psychotherapie als das zu benennen, was sie ist: ein zentrales Anwendungsgebiet der Psychologie. Jetzt wird die endgültige Spaltung provoziert: Bis heute war der größte Teil der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten „vollwertige“ Psychologinnen und Psychologen. In Zukunft soll dies ausgeschlossen werden. Sie sollen nicht Psychologie studieren und es wird explizit erwähnt, dass sie sich nicht mehr als Psychologinnen und Psychologen bezeichnen dürfen.
Nach dem Willen des Bundesministeriums für Gesundheit soll an den Universitäten ab dem ersten Semester Psychotherapie studiert werden, mit Abschluss des Studiums soll die Approbation erlangt werden, ohne die Fachkunde erworben zu haben. Es wird kommentiert, dass das Studium an die Medizinerausbildung1 angelehnt werden soll. Die Medizinerausbildung besteht jedoch aus einem grundlegenden Studium der Medizin, bevor die verschiedenen anwendungsbezogenen Disziplinen differenziert werden. Es gibt keinen Chirurgie-Studiengang oder Neurologie-Studiengang vom ersten Semester an. Die Spezialisierung erfolgt erst, wenn eine fundierte Basis gelegt wurde.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die erreichten Qualitätsstandards und der Patientenschutz werden in Frage gestellt, wenn der neue Studiengang wie vom BMG gewünscht eingeführt werden sollte. Die Studierenden werden gezwungen, schon im ersten Semester eine Entscheidung für ein Anwendungsgebiet zu fällen, was zu diesem Zeitpunkt für einen großen Teil eine Überforderung darstellt. Sie stehen vor dem Nichts, sollte sich nach dem Bachelor-Abschluss herausstellen, dass der eingeschlagene Weg eine Sackgasse war. Entgegen der Bologna-Reform ist für die Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen keine Einmündung in einen Beruf möglich.
Aber der Reihe nach: im Folgenden werden zunächst die wichtigsten Punkte des Referentenentwurfs (BMG, 2019) stichpunktartig benannt.
Kernpunkte des Referentenentwurfs
- Auf ein sechssemestriges Bachelor-Studium (in Psychotherapie) folgt ein konsekutives Master-Studium (in Psychotherapie), jeweils an Universitäten oder gleichgestellten Hochschulen. Parallel zum Master-Abschluss soll ein Staatsexamen eingeführt werden, dessen Absolvierung Voraussetzung für die Erteilung der Approbation sein wird. Die Abkehr von der Psychologie wird im Referentenentwurf explizit gewünscht.
- Die Berufsbezeichnung soll in Zukunft „Psychotherapeutin“/“Psychotherapeut“ lauten. Der Präfix „Psychologische“ entfällt. Damit soll die Öffnung für andere als psychologische Inhalte verdeutlicht werden. Welche andere Inhalte gemeint sind (z.B. medizinische, pädagogische) wird nur vage beschrieben. Drei Fünftel des Studiums werden inhaltlich festgelegt (180 ECTS). Die restlichen Studienanteile (120 ECTS) können die jeweiligen Hochschulen selbst bestimmen, soweit die Studiengänge akkreditiert sind.
- Es sollen Modell-Studiengänge eingerichtet werden, die die Kompetenz zur Verschreibung von Pharmaka vermitteln. Die dafür erforderlichen Kenntnisse sollen in den noch nicht festgelegten zwei Fünftel des Studiums vermittelt werden.
- Es folgt eine Weiterbildungsphase, deren Inhalte und deren exakte Dauer nicht näher beschrieben werden. Diese dient dem Erwerb der Fachkunde und führt nach erfolgreichem Abschluss zur sozialrechtlichen Zulassung. In der Weiterbildung wird zwischen der Therapie von Erwachsenen und der Therapie von Kindern und Jugendlichen differenziert.
- Die Ziele des Studiums werden ausgeweitet. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sollen mit ihrem Hochschulabschluss nicht nur Heilkunde ausüben können, sondern auch in der Beratung, Prävention und Rehabilitation tätig werden.
- Die Absolventinnen und Absolventen sollen mit Abschuss des Studiums auch qualifiziert sein, Führungsaufgaben zu übernehmen.
- Die Zahl der Absolventinnen/Absolventen des Psychotherapie-Studiengangs soll zukünftig über die Zulassungen zum Studium limitiert werden. Eindeutig wird die Aussage getroffen, dass im Vergleich zum aktuellen Stand weniger Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ausgebildet werden sollen.
- Eine Übergangsfrist von 12 Jahren ist vorgesehen. Wer vor Inkrafttreten des Gesetzes die Psychotherapie-Ausbildung beginnt, behält alle Rechte und Pflichten. Die Psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten nach altem Recht dürfen ihren Titel weiter führen.
Unerklärliche Abwendung von der Kerndisziplin Psychologie
Durch die aktuell gültige Fassung des Psychotherapeutengesetzes sind prekäre Arbeitsverhältnisse während der Ausbildung entstanden, die kurzfristig verschwinden müssen. Auch der Zugang zur Ausbildung in Psychotherapie muss bundeseinheitlich geregelt werden. Daher muss das Psychotherapeutengesetz novelliert werden. Dabei gilt es massiven Folgeschäden durch die Neuordnung der Psychotherapie-Ausbildung vorzubeugen.
Eine Trennung zwischen Psychologie- und Psychotherapie-Studium ist jedoch weder erforderlich noch sinnvoll. Offen bleibt, welche anderen Inhalte die im Psychologie-Studium vermittelte Basisqualifikation ersetzen sollen und welche anderen Fachbereiche zukünftig Psychotherapeutinnen und -therapeuten ausbilden sollen.
Gleichzeitig wird der Qualitätsstandard der Approbation reduziert. Die mit dem Gesetz beabsichtigte Festlegung von drei Fünftel der Studieninhalte wird in der im Referentenentwurf beschriebenen Form keine gut qualifizierten Absolventinnen und Absolventen hervorbringen. Wenn im Rahmen der Gestaltungsfreiheit der Universitäten beispielsweise keine weitere Fundierung in der Anwendung wissenschaftlicher Methoden erfolgt, werden in Psychotherapietechniken geschulte Personen hervorgebracht. Es entsteht das Risiko, dass sie nicht ausreichend in der Lage sein werden, die Folgen ihres Handelns angemessen einzuschätzen. Das höchst anspruchsvolle Berufsfeld Psychotherapie erfordert jedoch genau diese Kompetenz. Es hat Jahrzehnte gebraucht, um es Scharlatanen im psychotherapeutischen Arbeitsfeld schwerer zu machen, mit unreflektierten Interventionen Menschen zu schaden. Wenn auch nur das Risiko besteht, dass die erreichten Qualitätsstandards aufgeweicht werden, sollte verhindert werden, dass sachfremde Gründe für die zukünftige Gestaltung der Psychotherapie-Ausbildung obsiegen. Die frühe Approbation, um eine bessere Bezahlung während der Weiterbildung zu ermöglichen, ist eine solche sachfremde Erwägung. Alternative Modelle sind möglich.
Eine wesentliche Differenzierung zwischen Medizinern und Psychologischen Psychotherapeutinnen/ Psychologischen Psychotherapeuten ist der Verzicht auf die Verschreibung von Medikamenten durch Letztere in der psychotherapeutischen Behandlung. Bei der großen Mehrzahl der psychisch Erkrankten ist dies nicht erforderlich, möglicherweise sogar kontraindiziert. Eine Steigerung der Pharmaka-Verschreibungen ist patientenbezogen und volkswirtschaftlich als zweifelhaft anzusehen. Die heute schon hohe Zahl von medikamentenabhängigen Menschen auch und gerade mit psychischen Beeinträchtigungen gilt es berücksichtigen. Es ist wenig zielführend, während des geplanten Psychotherapie-Studiums wertvolle Studienanteile für die Vermittlung pharmakologischen Wissens zu nutzen und dafür auf andere Studieninhalte zu verzichten. Sollte es derart vertiefter Kenntnisse unbedingt bedürfen, was wie schon erwähnt, an dieser Stelle in Frage gestellt wird, so kann dieses Wissen im Rahmen der Weiterbildung vermittelt werden und nicht im Studium.
Auch die Erhöhung der Versorgungssicherheit der Bevölkerung in Bezug auf Psychotherapie ist ein gesellschaftlich intensiv diskutiertes Thema. Im Referentenentwurf wird zwar von dreistelligen Millionenbeträgen pro Jahr gesprochen, die durch die grundlegende Umgestaltung der Psychotherapie-Ausbildung benötigt werden und die von den Krankenkassen zusätzlich getragen werden sollen. Die Versorgungssicherheit wird dadurch nicht erhöht. In der Präambel wird behauptet, dass „der Zugang zum Beruf … noch attraktiver gestaltet werden“ soll. Bei genauer Lektüre stellt sich jedoch heraus, dass der Berufszugang erschwert werden soll, indem eine rigide zahlenmäßige Steuerung der Zulassung zur Ausbildung vorgesehen ist (auf 2300 bis 2.500 Personen p.a.).
Der BDP fordert:
- Die Berufsbezeichnung „Psychologische Psychotherapeutin“/„Psychologischer Psychotherapeut“ soll als Qualitätsmerkmal in Abgrenzung zum ärztlichen Psychotherapeuten erhalten bleiben.
- Ein polyvalenter Bachelor-Studiengang in Psychologie soll die Basis bilden, um den Absolventinnen und Absolventen neben der Weiterqualifizierung in Psychotherapie den Zugang zu anderen psychologischen Master-Studiengänge und beruflichen Anwendungsfeldern zu eröffnen.
- Im Studium soll u.a. die Verfahrensvielfalt in Psychotherapie in Strukturqualität vermittelt werden und nicht nur ein knapper Überblick über die Vielfalt psychotherapeutische Ansätze gegeben werden. Das aktuell existierende Defizit an adäquat ausgebildeten Lehrenden an den Universitäten außerhalb der Verhaltenstherapie muss behoben werden.
- Auf das Psychologiestudium soll die Weiterbildung in Psychotherapie folgen. Die Hochschulabsolventinnen und -absolventen müssen in der Weiterbildungsphase angemessen bezahlt werden. Im Referentenentwurf ist für den ambulanten Teil der Weiterbildung keine Veränderung zum heutigen Stand vorgesehen.
- Die Weiterbildungsphase zum Erwerb der Fachkunde ist unverzichtbarer Bestandteil der Ausbildung und führt zur Approbation.
Der Versuch der Harmonisierung der heilkundlichen Ausbildung stellt die in der Psychologischen Psychotherapie erreichten Qualitätsstandards in Frage, da die Approbation nicht mehr die gleiche Qualifikation signalisiert wie bisher. Das Argument, dass nur dann eine Finanzierung der Absolventinnen und Absolventen in der Weiterbildung erfolgen kann, weist Regelungsdefizite unseres Gesundheitssystems hin und kann nicht überzeugen. Eine Gleichstellung mit Medizinern wird auch nicht durch die Abschaffung der Berufsbezeichnung „Psychologische Psychotherapeutin“/“Psychologischer Psychotherapeut“ erreicht, die bislang als Qualitätsausweis für eine Anwendung von Heilkunde gelten konnte.
Schulabgänger werden überfordert, wenn sie sich in dieser Lebensphase schon auf ein enges Praxisfeld festlegen müssen. Sollte sich diese Entscheidung als falsch herausstellen, droht große Frustration und der Verlust von Ausbildungsjahren, da das Psychotherapie-Studium nur eine sehr eng umschriebene Qualifizierung ermöglicht. Übergänge werden zumindest erschwert.
Studierende werde in die Irre geführt, weil ihnen vermittelt wird, sie könnten mit einer wenig gehaltvollen Approbation mit dem Studienabschluss höchst verantwortliche Tätigkeiten außerhalb der Heilkunde ausüben, z.B. in der betrieblichen Gesundheitsförderung oder durch das Erstellen von Gutachten. Es besteht das hohe Risiko, dass die Abnehmer dieser Dienstleistungen Schaden nehmen. Beispielsweise wurden in der Rechtspsychologie unter maßgeblicher Beteiligung des BDP umfangreiche Weiterbildungen und Gütestandards etabliert, deren Qualität in einem Studium bis zum Master-Abschluss nicht erreicht werden können.
Im krassen Gegensatz zu der angedachten Ausweitung des Berufsfelds soll den zukünftigen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die Befugnis versagt bleiben, eine einfache Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszustellen, wenn während der psychotherapeutischen Behandlung deutlich wird, dass die Patientin/der Patient vorübergehend nicht in der Lage ist, den beruflichen Anforderungen nachzukommen.
Schließlich wird im Referentenentwurf beschrieben, die Absolventinnen und Absolventen seien qualifiziert, Führungsaufgaben zu übernehmen, ohne dass in den vom BMG vorgeschriebenen Studieninhalten entsprechende Kompetenzen vermittelt werden.
Eine Übergangsfrist von 12 Jahre ist vorgesehen. Im Referentenentwurf sind keine Regelungen enthalten, die den schon heute in der Ausbildung Befindlichen nutzen und die deren Situation in den nächsten Jahren verbessern können.
Es bedarf dringend einer grundlegenden Überarbeitung des Referentenentwurfs.
Prof. Dr. Michael Krämer
Präsident des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen
Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Psychotherapeutenausbildung
BDP-Mitgliederinformation (PDF)