Weltgesundheitstag 2025
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Schwangerschaft, Geburt und die ersten Monate danach sind eine ganz besondere Zeit im Leben von Müttern und ihren Neugeborenen. Sie haben einen großen Einfluss auf viele weitere Entwicklungsschritte im Leben eines Menschen und sind daher von enormer Bedeutung.
In diesem Zusammenhang kann eine professionelle Begleitung und Hilfe durch Psycholog*innen eine echte Unterstützung darstellen, beispielsweise um Ängste, die mit der Geburt in Zusammenhang stehen, zu überwinden, eigene Traumata aufzuarbeiten, Vertrauen und einen positiven Blick auf die Zukunft zu entwickeln. Die BDP-Präsidentin Thordis Bethlehem hat mit der Geburtspsychologin Anabel Galster genau darüber gesprochen.
Thordis Bethlehem: Frau Galster, Sie sind Psychologin und Psychotherapeutin, haben selbst fünf Kinder und begleiten nun schon seit vielen Jahren Mütter und Väter, also Eltern, durch die Zeit der Schwangerschaft, der Geburt und der ersten Zeit danach. Wie würden Sie die zentralsten Aspekte Ihrer Arbeit als Geburtspsychologin beschreiben? Worauf kommt es in den verschiedenen Phasen vor, während und nach der Geburt am meisten an?
Anabel Galster: Als Geburtspsychologin liegt mir besonders am Herzen, Familien beim Ankommen in ihrer neuen Konstellation zu unterstützen. Der Start in diese aufregende Phase des Lebens sollte als positiv und stärkend erlebt werden.
Eine gute Vorbereitung auf die Geburt ist entscheidend. Sie geht über das bloße Wissen um den Geburtsablauf und Techniken zur Schmerzlinderung hinaus. Es ist wichtig, einen Blick in den eigenen „Lebensrucksack“ zu werfen, der positive Erfahrungen wie auch belastende Erlebnisse enthalten kann. Gerade in der Geburt können unverarbeitete Themen – wie frühere Traumata oder Bindungserfahrungen – den Geburtsverlauf stören. Diese Aspekte zu betrachten und zu integrieren, ist ein zentraler Bestandteil meiner Arbeit. Sie bieten nicht nur eine wertvolle Geburtsvorbereitung, sondern haben weitreichende positive Auswirkungen auf das Familienleben.
Während der Geburt ist die mentale Begleitung der Frau von großer Bedeutung. Eine Geburtspsychologin, die die individuellen Themen der Frau kennt, kann hier wertvolle Unterstützung bieten. In Deutschland ist diese Form der Begleitung noch nicht weitverbreitet. Viele Frauen, die bereits ein Geburtstrauma erlebt haben, suchen sich jedoch für ihre nächste Geburt ein persönlicheres Setting oder eine Doula (Geburtsbegleiterin), die sie während des gesamten Geburtsverlaufs individuell begleitet.
Nach der Geburt ist es wichtig, dass die Familie ungestört ankommen kann. Als Geburtspsychologin werde ich in der Regel dann hinzugezogen, wenn die Geburt als belastend oder traumatisch erlebt wurde oder wenn Unsicherheiten im Ankommens-Prozess auftreten. Oft sind diese Herausforderungen im Herkunftssystem der Eltern verwurzelt, da sich die Vorstellungen von Bindung und Familie im Laufe der Zeit verändert haben. Mit meiner Arbeit möchte ich dazu beitragen, dass Familien einen positiven und stärkenden Start in ihr neues Leben finden.
Thordis Bethlehem: Das diesjährige Motto zum Weltgesundheitstag stellt vor allem die Beziehung von Müttern und Neugeborenen in den Mittelpunkt. Wie würden Sie diese beschreiben? Und was ist für einen guten Start in das Leben für Neugeborene, aber auch für ihre Mütter ganz besonders wichtig?
Anabel Galster: Erst einmal, wie schön, dass diese besondere Phase, die unser aller Leben betrifft und prägt, hier so in den Fokus gestellt wird. Viele meiner Klientinnen beschreiben, dass die Herausforderungen einer Geburt zu wenig Beachtung finden. Sie fühlen sich oft isoliert und „allein“ mit ihren Themen und Nöten. Die Mutter-Kind-Beziehung ist etwas ganz Besonderes – eine Quelle unverfälschter, bedingungsloser Liebe, die an keine Erwartungen geknüpft ist und die die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse ermöglicht. Sie bietet einen Entwicklungsraum, der sowohl Schutz als auch Freiheit bietet, vorausgesetzt die Bedingungen sind optimal.
Besonders wichtig für einen guten Start in diese wunderbare Beziehung ist u. a. wie die Geburt erlebt wurde. Dabei ist nicht nur der Geburtsmodus entscheidend – auch ein notwendiger Kaiserschnitt kann empathisch und bindungsorientiert begleitet werden – sondern vielmehr die Kommunikation und das Mitspracherecht, das die Frau während der Geburt erfährt. Die emotionalen Zustände der Mutter beeinflussen auch das Kind: Ist die Mutter gestresst oder in Todesangst, kann sie möglicherweise die Verbindung zu ihrem Kind verlieren. In solchen Momenten erlebt auch das Baby den Stress und könnte Schwierigkeiten haben, das Erlebte zu verarbeiten.
Eine selbstbestimmte Geburt, die im eigenen Tempo und mit guter Begleitung erfolgt, erzeugt weniger Stress und ermöglicht der Frau, im tiefen Kontakt zu sich selbst und ihrem Baby zu gebären. Die Geburt wird dann als etwas Positives empfunden und bildet einen ganz anderen Start in die Mutter-Kind-Beziehung als eine Geburt, die von Gefühlen des Versagens und traumatischen Erlebnissen überschattet wird. Daher sind Nachgespräche und Integrationsarbeit für die Familie von großer Bedeutung, wobei auch der anwesende Partner oder die Partnerin einbezogen werden sollte. Man kann sich also leicht vorstellen, wie eine positive Geburtserfahrung nicht nur das gesamte Familiensystem stärkt, sondern auch präventive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit haben kann.
Thordis Bethlehem: Bei Geburten kann es zu traumatischen Erlebnissen kommen, aber auch im Vorfeld einer Geburt oder danach können sich (junge) Mütter überfordert fühlen oder auch das Gefühl haben, keine Bindung zum Kind zu spüren. Manche Neugeborene entwickeln sich zu sog. Schreibabys. Wie kann die Geburtspsychologie bei diesen unterschiedlichen Thematiken helfen und unterstützen?
Anabel Galster: Grundsätzlich gilt es zu schauen, welche Ängste und Glaubenssysteme die werdende Mutter bzgl. Geburt und Mutterschaft in sich trägt. Diese zu verstehen kann helfen, die Überforderung abzubauen und somit Kapazitäten zu schaffen, den kleinen Menschen in ihr Leben wirklich einladen zu können. Natürlich gibt es unterschiedliche Techniken zur Unterstützung der Mutter-Kind-Bindung, mit denen ich arbeite, die auch die Überwindung von Traumata wie vorherige Fehl- oder Todgeburten oder Ähnliches mit einbeziehen.
Ein sog. „Schreibaby“ ist in einem absoluten Ausnahmezustand. Es schreit nie ohne Grund, wir beobachten diese exzessive Form des Weinens häufig bei Babys, die einen schweren Start ins Leben hatten. Gründe können eine traumatische Geburt, Trennung von der Mutter, medizinische Eingriffe etc. sein. Weinen ist die Sprache der Babys. Daher gilt es hier gut zuzuhören.
Wenn das Kind schreit, fühlt sich die Mutter als Versagerin, da sie ihr eigenes Kind nicht beruhigen kann. Hier kann die Hilfe einer Geburtspsychologin immens wichtig sein. Jemand, der zunächst der Mutter hilft zu verstehen, dass es nicht ihre Schuld ist und wie sich Mutter und Kind gegenseitig beeinflussen. Zuerst wird die Mutter stabilisiert, damit sie gut in den Kontakt mit dem Kind gehen kann. Es ist eine sehr wichtige und bestärkende Erfahrung für die Mutter, ihr eigenes Kind beruhigen zu können.
Thordis Bethlehem: Gibt es Tipps, die Sie allen (werdenden) Müttern (und natürlich auch Vätern, also Eltern) mit auf den Weg geben können und die unabhängig von der individuellen Situation immer hilfreich sind, um eine gesunde Entwicklung des Neugeborenen sowie auch der Beziehung der Mütter zu ihren Neugeborenen zu fördern?
Anabel Galster: Ich kann allen werdenden Eltern empfehlen, sich wirklich ganzheitlich auf das Familienleben vorzubereiten. Frauen, die schon die Schwangerschaft bewusst erleben und in einem engen Kontakt mit ihrem Baby sind, haben es leichter, auch während einer so speziellen Situation wie der Geburt in diesem Kontakt zu bleiben. Das fördert ihr Wohlbefinden auch nach der Geburt. Ähnlich geht es den Partnern: Involvierte Partner, die sich schon während der Schwangerschaft auf das Kind einstellen und in Kontakt gehen, fühlen auch nach der Geburt weniger Überforderung und Eltern, die sich auf die Geburt gemeinsam einstellen und als Team ihr Kind in die Welt begleiten, können diesen Moment auch auf Paarebene als sehr stärkend erleben.
Wichtig für die Mutter-Kind-Bindung ist das Geburtserleben. Daher sollten die Bedürfnisse der Gebärenden beachtet werden und welcher Geburtsort/welches Geburtsteam diese erfüllen kann. Geburt ist ein hochindividueller Vorgang und bedarf somit einer individuellen Betreuung. Sich gesehen und verstanden zu fühlen ist ebenso wichtig wie die professionelle medizinische Betreuung der Paare. Denn dann können wir ein starkes Fundament für einen positiven Start ins Leben legen, was für die Bindungserfahrung sehr wichtig ist und natürlich für das weitere Leben des Kindes.
Thordis Bethlehem: Frau Galster, vielen Dank für das Gespräch.