BDP fordert Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen für Demokratiestärkung durch mehr Psychologie in Schulen
Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) begrüßt den Gesetzesentwurf des Demokratiefördergesetzes der Bundesregierung, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken soll. Gleichzeitig macht der BDP auf die prekäre Lage von Menschen in psychischen Notlagen aufmerksam und fordert Maßnahmen zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen in Schulen. Nur wenn Jugendliche in Bildungseinrichtungen frühzeitig auch über seelische Belastungen und damit einhergehende Vulnerabilität für psychischen Erkrankungen aufgeklärt werden, kann ein friedliches gesellschaftliches Miteinander gewährleistet und somit auch Demokratie gestärkt werden.
Die Wahrnehmung von seelischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft hat in den letzten Jahren zugenommen, und das ist ein Erfolg. Gleichzeitig nehmen die psychischen Belastungen durch die Pandemie und anderen große Krisen unserer Zeit zu, werden durch das gestärkte Bewusstsein hierfür häufig auch früher erkannt.
Es bleibt jedoch weiterhin viel zu tun. Betroffene warten oft sehr lange auf einen Therapieplatz, und es gibt weiterhin Teile der Bevölkerung, denen die Psychologie als Wissenschaft und somit auch das Wissen über Protektiv- und Risikofaktoren der kindlichen Entwicklung und deren Interaktion mit der Entwicklung von psychischen Erkrankungen fern ist. Folgen davon können Radikalisierung, Ausgrenzung, Marginalisierung, Gewalt, Selbstverletzung und Suizidalität u.v.a. sein.
Gleichzeitig hat die Corona-Pandemie die in und um Deutschlands Schulen bestehenden Problematiken, Herausforderungen und deren Komplexität noch stärker in den Blick gerückt, da diese Krise am Lern- und Lebensort Schule sich so massiv auf die Menschen auswirkte. Dieser enorme Stresstest zeigte sowohl die Stärken des Systems Schule, aber auch ganz klar dessen neuralgische Punkte.
Die Psychologie als Wissenschaft über das menschliche Erleben, Verhalten und Denken bietet praktische Implikationen für die vielschichtigen Herausforderungen, mit denen moderne Demokratien konfrontiert werden. Psychologisches Wissen in die Gesellschaft zu tragen hat das Potenzial, Selbstreflexion, Selbstwirksamkeit und Resilienz von Individuen zu stärken und somit schädigende Entscheidungen und Verhaltensmuster für sich und deren Umwelt zu vermeiden bzw. zu reduzieren.
Schulen sind Potentialentfaltungsgemeinschaften und Sozialisationsinstanzen und daher in Bezug auf die Maximierung gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeiten von hoher Relevanz. Hier werden die Erwachsenen der Zukunft geprägt und hier besteht die einzigartige Chance, sie in ihrer psychosozialen Entwicklung zu stärken, die schulische Teilhaberelevanz zu fördern und ihnen neben anderem Wissen auch ein Verständnis für Demokratie sowie die Offenheit und Toleranz gegenüber Minderheiten und Menschen in psychischen Notlagen zu vermitteln, ohne dabei individuelle Defizite stigmatisierend beschreiben zu müssen.
Daher fordern wir:
- Die im Koalitionsvertrag angekündigte Kampagne zur Aufklärung über psychische Erkrankungen (auch) in Schulen umzusetzen
- Psychologie als Unterrichtsfach deutschlandweit zu etablieren
- Die Stärkung der Resilienz als Bildungsziel zu entwickeln und zu etablieren
- Die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Psychologie-Lehrkräften qualitativ und quantitativ zu fördern
- Die Schulpsychologie (wieder) stärker in die multiprofessionellen Beratungs- und Unterstützungssysteme der inklusiven Schulen zu integrieren
- Den Ausbau der interdisziplinären Zusammenarbeit unter Einbindung der Schulpsychologie, wie bereits von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz seit 2022 gefordert wird
- Einen bundeseinheitlichen Versorgungsschlüssel von Schulpsycholog*innen von 1:1000
- Den Transfer zwischen Forschung und Praxis im Kontext Schule zu stärken: Erkenntnisse aus der psychologischen Grundlagenforschung in die schulische Praxis transferieren und Fragestellungen aus dem Schulalltag in wissenschaftlichem Kontext bearbeiten und beantworten
Mit seinem Jahresschwerpunktthema 2022 betont der BDP ausdrücklich, dass „Mehr Psychologie in die Schulen“ eine resilientere Gesellschaft für heute und morgen bedeutet. Psychologische Konzepte helfen beim Umgang mit Komplexität auf verschiedenen Ebenen, werden präventiv und intervenierend eingesetzt und entlasten bei großen Krisen und Alltagsproblemen.
Als Expert*innen für Psychologie ist uns die Anwendung unserer Disziplin in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, so auch in Schulen sehr wichtig. Für politische Entscheidungsträger*innen, Organisationen und anderen möglichen Partner*innen stehen wir für Dialoge und Beratung stets zur Verfügung.
Dr. Meltem Avci-Werning
Präsidentin des BDP