Stellungnahme des BDP zum Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit (Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit vom 13.6.2024)
Stellungnahme
Berlin, den 1. Juli 2024
Vorbemerkung
Der Berufsverband BDP begrüßt ausdrücklich die nach den Eckpunkten zum Vorhaben vorgenommenen Änderungen und Erweiterungen der Aufgabenwahrnehmung eines Bundesinstituts mit dem Aufgabenspektrum Gesundheitsförderung und Prävention. Der Gesundheitsförderung im Verständnis der WHO und dem Erhalt von Gesundheit muss dringend größere Bedeutung in unserer Gesellschaft zukommen. Mit höheren Lebenserwartungen, den Veränderungen in der Arbeitswelt und in sozialen Gefügen sowie zunehmenden Belastungen durch Unsicherheit und Krisen steigen Erkrankungsrisiken und Versorgungsaufgaben sowie der Bedarf an effektiver Gesundheitsförderung, Prävention und Intervention.
Grundlage dieser Stellungnahme ist der Gesetzentwurf vom 13. Juni 2024, zur Verfügung gestellt mit der Bitte um Stellungnahme, der die am 4. Oktober 2023 vorgestellte Kon-zeption des neuen Bundesinstituts konkretisiert.
Einordnung
Das im vorliegenden Entwurf formulierte übergreifende konzeptionelle Verständnis von Gesundheit unter Bezug auf die WHO-Konzepte One-Health, Health in all Policies, Planetary Health und dem Einbezug nicht übertragbarer Erkrankungen bildet nun ein adäquates Spektrum der erforderlichen Aufgabenwahrnehmung ab. Auch die Einrichtung einer Plattform und einer Netzwerkstelle, die Betonung der Gesundheitsförderung und Prävention einschließlich der Fokussierung auf Kooperation mit Einbezug regionaler Akteure werden als Ergänzungen der Eckpunkte vom BDP sehr begrüßt.
Mit dem aktuell definierten Spektrum werden die notwendigen Aufgabenbereiche adressiert. Allerdings bedarf es auch einer adäquaten Personal- und Sachausstattung sowie entsprechende Forschungsmittel.
Das erweiterte Verständnis der Aufgabenwahrnehmung auch im Namen deutlich ausdrücken
Der Berufsverband begrüßt die Erweiterung der Aufgaben des neuen Instituts sehr.
Die in den Eckpunkten zum Konzept „BIPAM“ aufscheinende nahezu ausschließlich medizinische Perspektive auf Krankheit im pathogenetischen Verständnis ist nun um die von der WHO geforderte salutogenetische Perspektive und Berücksichtigung der psychischen Gesundheit ergänzt worden.
Der BDP schlägt vor, nach der Erweiterung des Aufgabenspektrums dies nun auch im Namen kenntlich zu machen, also von einem Teilbereich der Versorgung auf die gesamte Themenbreite abzustellen und statt „BIPAM“ (Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin) den Namen „Bundesinstitut für Gesundheit“ zu wählen.
Im Entwurf geht die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in das neue Institut auf. Dabei ist vorgesehen, Angebote umzubenennen und als Angebote des Bun-desinstituts zur Aufklärung in der Medizin zu labeln. Es stellt sich aus fachlicher Sicht die Frage, ob das eingeführte Label BZgA und der Kontext gesundheitliche Aufklärung nicht der besser geeignetere Begriff ist, um vulnerable und schwer erreichbare Zielgruppen zu interessieren, auch weil damit für die Ratsuchenden ein umfassenderes Gesundheitsangebot signalisiert würde.
Insbesondere das Label „Aufklärung in der Medizin“ knüpft an von Haus- und Fachärzteschaften bekannte medizinische Herangehensweisen an und lädt nicht explizit dazu ein, Hilfe zu suchen bei psychischen Problemen und notwendigen Verhaltensänderungen, starken psychischen Belastungen und psychischen Erkrankungen. Inwiefern bei den angesprochenen Aufgabenstellungen wie Raucherentwöhnung, Schwangerschaftskonfliktberatung, Schutz vor Konversionsbehandlungen oder Umgang mit Konsumcannabis viele Ratsuchende durch die Begrifflichkeit „Aufklärung in der Medizin“ nicht mehr erreicht werden, sollte evaluiert werden, falls dieser Name so eingeführt wird.
Unabhängig von der Namensgebung des neuen Instituts regt der BDP an zu prüfen, ob nicht das eingeführte und breit bekannte Label „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ beibehalten und als Bestandteil des neuen Instituts weitergeführt werden sollte. Sofern eine Umbenennung des BIPAM in „Bundesinstitut für Gesundheit“ (BIG) o. ä. nicht erfolgt, erscheint uns die Beibehaltung der Bezeichnung BZgA eine notwendige Maßnahme, um die Reichweite der Präventionsaktivitäten des Instituts zu sichern.
Prävention und Gesundheitsförderung in den verschiedenen Lebenswelten und Belastungsformen stärker berücksichtigen
Neben der Berücksichtigung psychologischer Faktoren auf die Lebensqualität allgemein und auf Entwicklung sowie Verschlimmerung körperlicher Erkrankungen ist auch die zunehmende gesellschaftliche und ökonomische Relevanz von psychischen Erkrankungen stärker in den Fokus zu nehmen.
Die Berücksichtigung psychologischer Faktoren ist einerseits bereits bedeutsam in deren Wirkungen auf die allgemeine Lebensqualität, aber auch auf Entwicklung sowie Verschlimmerung körperlicher Erkrankungen. Daneben ist auch die zunehmende gesellschaftliche und ökonomische Relevanz von psychischen Erkrankungen stärker in den Fokus zu nehmen.
Aktuelle Auswertungen zeigen weiterhin, dass berufliche Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen seit 2012 von steigender Tendenz sind, mit einem bisherigen Höchststand von 48 Prozent der Fehltage in 2022 (https://www.dak.de/dak/unternehmen/reporte-forschung/psychreport-2023_32618). Psychische Erkrankungen sind zudem seit vielen Jahren die häufigste Ursache für Frühberentungen. Ein wichtiger Ansatzpunkt hierbei ist die betriebliche Gesundheitsförderung.
Der BDP fordert hier exemplarisch sehr deutlich den Ausbau und die qualitative Verbesserung von betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen und dem betrieblichen Gesundheitsmanagement, um psychischen Stressoren gezielt entgegenwirken zu können. Hier wäre auch die stärkere Kooperation mit anderen Ressorts angezeigt, wie dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Ein weiterer zentraler Bereich der Prävention ist der schulische Kontext. In Schulen und Kindertagesstätten werden Kinder und Jugendliche flächendeckend erreicht. Der BDP setzt sich hier bereits seit vielen Jahren für „mehr Psychologie an Schulen“ ein. Auch für (junge) Familien und insbesondere Alleinerziehende wären intensivere Unterstützungen beim Erwerb von Kompetenzen, z. B. für herausfordernde Erziehungssituationen, wichtig. Insbesondere in Familien werden die psychologischen Grundlagen im Hinblick auf die Entwicklung psychologischer Resilienz und damit auch dem späteren Umgang mit psychischen Stressoren und intensiven Belastungen als Entwicklungsaufgaben gelegt.
Der BDP schlägt vor, neben einem Fokus auf Gesundheitsförderung und Gesundheitsforschung in den Settings Arbeitswelt, Schule und Bildung, sowie Familie sind auch breitwirksame Themen und Faktoren wie Einsamkeit und soziale Isolation und besonders vulnerable Zielgruppen zukünftig stärker in den Blick zu nehmen.
Beteiligung psychologischer Expertise an der Konzeptarbeit
Die Orientierung des neuen Instituts an den oben erwähnten WHO-Konzepten erfordert eine multidisziplinäre Perspektive, die psychologische Faktoren der Gesundheit, salutogenetische und ressourcenorientierte Ansätze in Lebenswelten, z. B. Arbeit, Schule und Familie, berücksichtigt und weiterentwickelt.
Ein breites, über die medizinische Perspektive hinausgehendes Gesundheitsverständnis und die Orientierung auf evidenzbasierte Prävention mit wissenschaftlicher, d. h. im strengen Sinne evaluationsbasierter Weiterentwicklung der Interventionsansätze, bieten erst die ausreichende Grundlage für eine effektive Prävention für die Bevölkerung.
Zentrale Elemente wie Risikokommunikation, Wissensvermittlung, Motivierung, verhaltens- und verhältnispräventive Vorschläge erfordern psychologisches Know-how. Die wesentlichen Förderbereiche wie Selbstbestimmung, Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit, Ressourcenaktivierung, Empowerment und Teilhabe, soziale Fertigkeiten und Emotionsregulation zeigen, dass hier die Psychologie als tragende Disziplin unverzichtbar ist. Insbesondere im Kontext aktueller Transformationsprozesse und den dabei entstehenden neuen Anforderungen und Belastungen sind besondere methodische Kompetenzen zur kontinuierlichen Bedarfsprüfung, Konzept- und Interventionsentwicklung erforderlich. Dies betrifft auch die Evaluation der Effektivität für die Gestaltung effektiver Prävention notwendigen Prozessqualitäten am Arbeitsplatz und ebenso im Bildungsbereich.
Orientierungen und Handlungsneigungen der besonderen Zielgruppen und verschiedenen professionellen Akteure im Feld sowie die Berücksichtigung sozialer und individueller Faktoren zur Inanspruchnahme von Angeboten spielen bei der Konzeptentwicklung und Forschung in den Bereichen gesundheitlicher Prävention und Intervention eine bedeutsame Rolle.
Der BDP schlägt daher vor, zusätzlich zur medizinischen Expertise und dem Einbezug von „Modellieren“, die Beteiligung psychologischer Expertise bei Forschung und Konzeptentwicklung in adäquater Weise vorzusehen.
Als größter psychologischer Berufsverband gehören Prävention, Gesundheitsförderung und der Erhalt psychischer Gesundheit zu unseren Schwerpunktthemen und Aktionsfel-dern. Gerne stehen wir für Fragen und Anregungen zur Verfügung.
Ihre Ansprechpersonen:
Thordis Bethlehem Präsidentin | Fredi Lang Referatsleiter Fach- und Berufspolitik |
E-Mail: t.bethlehem@bdp-verband.de | E-Mail: f.lang@bdp-verband.de |