PM: Analyse statt Spekulation

Psychologenverband solidarisiert sich mit Betroffenen von Oslo

Im Namen seiner Mitglieder hat der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) den Angehörigen der Opfer der Anschläge in Norwegen sein Beileid und Mitgefühl ausgesprochen. Der Verband erklärt sich zudem solidarisch mit den Einsatzkräften vor Ort –  mit Polizisten und Feuerwehrleuten, Psychologen, Ärzten und Seelsorgern. Insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Sektion Klinische Psychologie/Fachgruppe Notfallpsychologie und die Kriminalpsychologen bieten sich auch zum kollegialen Austausch an.

Aus Sicht des BDP bergen die tragischen Ereignisse in Oslo und auf der Insel Utöya in ihrer Komplexität eine Reihe psychologischer Aspekte, die einer seriösen Untersuchung bedürfen. Für bedenklich hält der Verband daher die Versuche der Medien, mittels verschiedenster Experten in diesen Tagen bereits erklärend und analysierend auf die Vorgänge einzugehen. Wohin das führen kann, hat ja bereits der am ersten Tag von mehreren Terrorismus-Experten geäußerte falsche Verdacht gezeigt, es handle sich um islamistische Anschläge, so Elisabeth Noeske, Mitglied des Vorstands der Sektion Klinische Psychologie im BDP. „Zu diesem Zeitpunkt gab es überhaupt noch nichts an Expertenwissen beizutragen, sondern nur viel zu spekulieren. Experten haben in unklaren Nachrichtenlagen nichts verloren, denn ihr Vorzug ist das große Hintergrundwissen, nicht die aktuelle Kenntnis.“ Sie könnten aktuelle Erkenntnisse einordnen, verfügten aber über keine hellseherischen Fähigkeiten. „Statt sorgfältiger Recherche und Analyse findet in den Medien ein Wettlauf um die ersten Nachrichten zum Täter und seinem Hintergrund statt, der auch medienpsychologisch bedenklich ist, ebenso wie der riesige Raum, der Bildern des Täters und der Darstellung seiner im Internet veröffentlichten Motive gegeben wird.“ Journalisten, so Noeske,  reichen in solchen Phasen der Erregung angesichts eines dramatischen Ereignisses die eigene Unsicherheit weiter und suchen hilflos Antworten bei Fachleuten, die diese aber verantwortungsbewusst noch nicht geben können.

Auch beim BDP liefen die Telefone heiß, wurde nach den Gründen für das Verhalten der Opfer und des Täters gefragt. „Gerade weil das Geschehen aus forensischer und notfallpsychologischer Sicht so komplex ist, wird es für die Analyse einer längeren Zeit bedürfen“, erklärt Dr. Ursula Gasch, Diplom-Psychologin und Kriminologin. Fragen nach der besonderen Situation auf einer Insel, dem Gefühl des Abgeriegelt-Seins, Fragen nach historischen Parallelen wie sie sich z.B. mit dem amerikanischen Mathematiker Theodore Kaczynski, der von 1978 bis 1995 als Unabomber bekannt wurde, anbieten ebenso wie nach den Unterschieden zu anderen Fällen bedürften sorgfältiger Betrachtung. „Möglich, dass die Ereignisse dann längst wieder aus den Schlagzeilen verschwunden sind, aber dennoch  gebieten sowohl die Sachlage als auch der Respekt vor den Betroffenen Zurückhaltung statt aufgeregter Spekulation.“
Vergleichbare Gründlichkeit in der Analyse und Nachdenklichkeit erwartet der BDP auch von der Politik statt übereilter und völlig unpassender Forderungen z.B. nach verschärfter Vorratsdatenspeicherung. Für wichtig hält der Verband nach den Worten von Elisabeth Noeske in dieser Situation im Übrigen auch eine kritische Betrachtung nicht nur der Rechtsextremen und der Islamisten in der Bundesrepublik, sondern der scheinbar seriösen Propaganda gegen eine multikulturelle Gesellschaft.

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