PM: Bedarfsgerechtigkeit muss oberstes Gebot sein
BDP fordert in der Diskussion um neues Versorgungsgesetz Paradigmenwechsel
Die Reform des Versorgungsgesetzes geht in ihre entscheidende Phase: Für Ende April ist die Vorlage eines Gesetzentwurfs vorgesehen. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) sieht in der Reform die Chance, psychische Erkrankungen endlich so zu gewichten, wie sie es angesichts steigender Zahlen von Betroffenen und Krankentagen verdienen. „Es bestehen deutschlandweit unzumutbare Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz, auch in Ballungsgebieten, die nach der bisherigen Bedarfsplanung als überversorgt gelten“, erklärt BDP-Vizepräsident Heinrich Bertram. Es könne nicht länger hingenommen werden, dass insbesondere für Kinder und Jugendliche monatelange Wartezeiten auf eine Psychotherapie bestehen, ihre Lage sich in dieser Zeit bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen verschlimmert. „Mit der geplanten Veränderung muss die Versorgung psychisch kranker Menschen unbedingt verbessert werden, auch wenn hierfür zusätzliche Mittel notwendig sind“, so Bertram.
Im BDP organisierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben auf der turnusmäßigen Frühjahrs-Vertreterversammlung des Verbandes Psychologischer Psychotherapeuten (VPP im BDP) gefordert, die künftige Bedarfsplanung an der Morbidität auszurichten. Sie plädieren zudem für eine kleinräumige Versorgungsplanung.
Die jetzige Bedarfsplanung weist aus Sicht des BDP gravierende Konstruktionsfehler auf. Eine der schwerwiegendsten ist Abkopplung der Planung von der Realität: Das geltende Versorgungsgesetz, in dem die Bedarfplanung geregelt ist, kennt keine Instrumente, die den tatsächlichen psychotherapeutischen Bedarf der Bevölkerung ermitteln. Der Bevölkerung wird de facto ein Bedarf diktiert: Ein ländlicher Kreis z.B. gilt grundsätzlich als zu 100 Prozent versorgt, wenn auf 23.106 Einwohner ein Psychotherapeut kommt. Ab einem nach dieser Formel berechneten Versorgungsstand von 110 Prozent sind Neuzulassungen in der Region nicht möglich. Wie viele Menschen tatsächlich psychotherapeutischer Behandlung bedürfen, spielt keine Rolle. Die Realität bleibt konsequent außen vor. Eine bedarfgerechte Versorgung ist damit systemisch ausgeschlossen.
Wie weit sich das Verfahren von den realen Notwendigkeiten entkoppelt hat, zeigen die Wartezeiten von mehren Wochen oder gar Monaten, die Patienten von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten selbst in angeblich überversorgten Regionen in Kauf nehmen müssen. Das ist kein Schönheitsfehler, sondern ein gesundheitspolitischer Skandal. „Mit kleinen Korrekturen im System ist diesem gravierenden Missstand nicht mehr beizukommen“ betont BDP-Vize Heinrich Bertram. Der BDP fordere daher einen Paradigmenwechsel in der Bedarfsplanung: Die Reform des Versorgungsgesetzes muss die Planungspraxis vom Kopf auf die Füße stellen. Es sind dringend Instrumente zu schaffen, die den Bedarf verlässlich ermitteln. Der BDP wird sämtliche Vorschläge zur Neuordnung des Versorgungsgesetzes an diesem Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit messen.
Der Weg zu einer bedarfsgerechten psychotherapeutischen Versorgung kann nur eine faire und grundsätzliche Diskussion zwischen allen Akteuren des Gesundheitssystems sein. Bei der Frage nach der Finanzierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland steht der BDP für eine sachliche Einschätzung der Psychotherapie: Volkswirtschaftlich betrachtet leisten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten einen nicht wegzudenkenden Beitrag, indem sie die Arbeitsfähigkeit psychisch Erkrankter unterstützen. Wer meint, der Abbau psychotherapeutischer Angebote wäre gesamtgesellschaftlich und -ökonomisch produktiv, der irrt sich grundlegend. Der Verband plädiert für eine solidarische Zusammenarbeit aller Heilberufe und ruft alle Psychotherapeutenvereinigungen aber auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Medizin dazu auf, die Neuordnung der Bedarfsplanung gemeinsam aktiv im Sinne der Bedarfsgerechtigkeit zu gestalten.