PM: Opferrechte werden nur begrenzt gestärkt

BDP-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs

Die Sektion Rechtspsychologie des BDP hat zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) eine Stellungnahme abgegeben. Sie begrüßt darin grundsätzlich das Bemühen zur Stärkung der Stellung von Opfern in Strafverfahren. Gleichwohl hat die Sektion kritische Anmerkungen zu folgenden Aspekten unterbreitet:

  • 1. Vermeidung von Mehrfachvernehmungen  - verstärkter Einsatz von richterlichen Videovernehmungen, § 58 a I 1 StPO-E; § 255a II StPO-E
  • 2. Ausweitung der Möglichkeiten anwaltlichen Beistands, § 397a StPO-E
  • Qualifikationsanforderungen an Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte, § 37 JGG-E
  • Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist, § 197 I BGB-E

Die Sektion unterstützt das Bestreben, Mehrfachvernehmungen zu vermeiden. „Dass dies allerdings durch einen verstärkten Einsatz von richterlichen Videovernehmungen im Ermittlungsverfahren nebst entsprechender Einführung in eine Hauptverhandlung erreicht werden kann, bezweifeln wir“, sagt Dr. Anja Kannegießer, Mitglied des Sektionsvorstandes. Eine Grundvoraussetzung für ein solches Procedere wäre, dass der Vernehmende sehr gut ausgebildet und in der Lage ist, gute, vollständige und nicht-suggestive Befragungen durchzuführen. In der Praxis zeige sich allerdings häufig, dass es oftmals an einer geübten Handhabung von Interviewtechniken mangelt.

Darüber hinaus weist die Sektion auf grundsätzliche Bedenken hinsichtlich des Instrumentes (richterlicher) Videovernehmungen eines Zeugen hin. Etwaige Effekte  - möglicherweise auch verzerrende Wirkungen - auf Aussagefähigkeit und Glaubhaftigkeit der Aussage ebenso wie auf deren Würdigung in Abhängigkeit von der Art der Präsentation (unmittelbare Aussage versus Präsentation einer aufgezeichneten Aussage) seien bisher unzureichend geklärt (Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 2010, Rn 1305 ff.). So sind Beeinträchtigungen der richterlichen  Überzeugungsbildung insoweit denkbar, wie die Angaben des Zeugen durch die mangelnde Unmittelbarkeit und emotionale Nähe an Intensität verlieren können. Zudem sind bei länger andauernden Videovorführungen Konzentrationsschwächen bei den Verfahrensbeteiligten zu befürchten. Verschiedenste technische Möglichkeiten des Straffens der Aufzeichnung bergen erhebliche Gefahren von Verzerrungen.

Zudem ist aus psychologischer Sicht des (mutmaßlichen) Opfers zu bedenken, dass eine mehrfache Befragung nicht unweigerlich zu einer sekundären Viktimisierung führen und damit um jeden Preis vermieden werden muss. Vielmehr legten Untersuchungen nahe, dass es unter Umständen weniger darauf ankommt, eine spezifische Schutzmaßnahme einzuführen, sondern dass eine an den Bedürfnissen des Zeugen orientierte Unterstützungsbereitschaft der Beteiligten, ein transparentes Vorgehen und ein effektiver Ablauf eine größtmögliche Entlastung sicherstellen.

„Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Regelungen getroffen werden sollen, um nach außen eine Stärkung von Opferrechten darzustellen, was tatsächlich jedoch nicht oder nur begrenzt der Fall ist“, so Kannegießer.

Die Ausweitung der Möglichkeiten anwaltlichen Beistands wird durch die Sektion begrüßt. Allerdings muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass der Zeuge über seinen Anwalt nicht verfahrensbezogene Kenntnisse erlangen sollte, beispielsweise über den Inhalt seiner früheren Angaben, die er dann bei der Erfüllung seiner Zeugenpflichten verwertet, beispielsweise in einer aussagepsychologischen Exploration.

Als sinnvoll und logisch konsequent erachten die Rechtspsychologen eine Klarstellung und größere Verbindlichkeit der Qualifikationsanforderungen von Jugendrichtern und Jugendstaatsanwälten. Erstrebenswert sei darüber hinaus eine Aufnahme von vernehmungs-psychologischen Kenntnissen nebst Training bzw. fortdauerndem Auffrischen von Befragungstechniken.

Abgelehnt wird von der Sektion ein Aufführen des Bereichs der „Jugendpsychologie“ bei gleichzeitiger Auslassung des Bereichs der „Jugendpsychiatrie“ im Anforderungskatalog. Wünschenswert seien Kenntnisse der Jugendrichter und -staatsanwälte in beiden Bereichen, denn in nicht wenigen Fallkonstellationen könnten sowohl bei delinquenten Jugendlichen bzw. Heranwachsenden, als auch bei kindlichen bzw. jugendlichen Opferzeugen klinisch relevante Auffälligkeiten eine Rolle spielen.

In der Stellungnahme, die der Vorstand des BDP vollinhaltlich teilt, wird, auch eine Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche, kritisch gesehen. „Zwar mag es zutreffen, dass Opfern oftmals ein zeitnahes Einklagen von Schadensersatzansprüchen aufgrund physischer und psychischer Belastung nicht möglich sein kann. Jedoch stellt sich mit jedem vergangenen Jahr mehr die Problematik der Beweisbarkeit eines Anspruchs“, so BDP-Präsidentin Sabine Siegl. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird - wie es in der Stellungnahme heißt - allein die Aussage des Opfers das zentrale Beweismittel darstellen. Jedoch verringere sich die Qualität von Angaben im zeitlichen Verlauf nicht nur aufgrund von Vergessensprozessen, sondern auch durch denkbare hetero- und autosuggestive Einflussnahme, oftmals mit bedingt durch Therapien. Eine aussagepsychologische Substantiierung der Angaben ist in diesen Konstellationen häufig kaum oder gar nicht möglich. Es bestehe also die Gefahr, dass durch die Verlängerung der Verjährungsfrist das Opfer zwar die Möglichkeit bekommt, ein gerichtliches Verfahren zu führen, das aber von vorneherein aus Opfersicht kaum erfolgreich abzuschließen ist. Es droht somit eine neuerliche Belastung durch ein Scheitern im zivilgerichtlichen Verfahren, das sowohl finanzielle wie personelle Ressourcen in Anspruch nimmt.

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