PM: Qualität muss bei der Psychotherapie-Ausbildung an erster Stelle stehen

Der Entwurf zur Novellierung des Psychotherapeutengesetzes weist deutlichen Nachbesserungsbedarf auf

Kurz nach der  Verbändeanhörung im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat das Bundesministerium für Gesundheit am 27.02.2019 einen Gesetzentwurf vorgelegt.

Dass eine Novellierung des Psychotherapeutengesetzes erforderlich ist, wurde schon mehrfach berichtet. Nun liegt der Gesetzentwurf vor. Nachdem das Kabinett den Entwurf gebilligt hat, soll die erste Lesung im Bundestag im Juni 2019 stattfinden. Das Gesetz soll 2020 in Kraft treten. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen begrüßt die darin enthalten bundeseinheitliche Zugangsregelung zur Psychotherapieausbildung. Die vielfältigen Spitzen gegenüber Psychologinnen und Psychologen, die im Referentenentwurf enthalten waren, fehlen erfreulicherweise in der aktuellen Kommentierung. Das Problem der Bezahlung der in der Aus- und Weiterbildung Befindlichen wurde aufgegriffen, jedoch nur unzureichend gelöst.

Wenn jetzt noch die erforderlichen inhaltlichen Anpassungen im Gesetzentwurf  vorgenommen würden, wäre tatsächlich mit einer „Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung“ zu rechnen, wie es die Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit verheißt. Im Moment ist es eine leere Behauptung, da durch die postulierte „moderne Ausbildung“ weder die Ausbildungs- noch die Versorgungsqualität der Bevölkerung verbessert wird (s. Quellenhinweis). Das Gegenteil droht, wie nachfolgend erläutert werden wird.

Kernpunkte des Gesetzentwurfs (unverändert gegenüber dem Referentenentwurf)

  • Auf ein sechssemestriges Bachelor-Studium (in Psychotherapie) folgt ein konsekutives Master-Studium (in Psychotherapie), jeweils an Universitäten oder gleichgestellten Hochschulen. Parallel zum Master-Abschluss soll ein Staatsexamen eingeführt werden, dessen Absolvierung Voraussetzung für die Erteilung der Approbation sein wird
    Die Berufsbezeichnung soll in Zukunft „Psychotherapeutin“/“Psychotherapeut“ lauten. Die Präzisierung „Psychologische“ soll entfallen
  • Ein Teil der Studieninhalte wird vorgeschrieben (180 ECTS). Die restlichen Studienanteile (120 ECTS) können die jeweiligen Hochschulen selbst festlegen. Eine Öffnung für „andere“ als psychologische Inhalte soll damit ermöglicht werden
    Nachdem Studienabschluss folgt eine Weiterbildungsphase. Diese dient dem Erwerb der Fachkunde und führt nach erfolgreichem Abschluss zur sozialrechtlichen Zulassung. In der Weiterbildung wird zwischen der Therapie von Erwachsenen und der Therapie von Kindern und Jugendlichen differenziert
  • Das Berufsfeld soll nicht nur die Heilkunde sondern auch Beratung, Prävention und Rehabilitation umfassen
    Die Absolventinnen und Absolventen sollen mit Abschuss des Studiums qualifiziert sein, Führungsaufgaben zu übernehmen    
  • Die Zahl der Absolventinnen/Absolventen des Psychotherapie-Studiengangs soll zukünftig über die Zulassungen zum Studium limitiert werden. Eindeutig wird die Aussage getroffen, dass im Vergleich zum aktuellen Stand weniger Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ausgebildet werden sollen
    Eine Übergangsfrist von 12 Jahren ist vorgesehen. Wer vor Inkrafttreten des Gesetzes die Psychotherapie-Ausbildung beginnt, behält alle Rechte und Pflichten. Die Psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten nach altem Recht dürfen ihren Titel weiter führen.

Veränderungen gegenüber dem Referentenentwurf

  • Ärztinnen und Ärzte sollen sich ebenfalls „Psychotherapeutin/Psychotherapeut“ nennen dürfen. Im Referentenentwurf war noch enthalten, dass sie „ärztliche“ voranstellen müssen
    Festgeschrieben wird weiterhin, dass im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung eine somatische Abklärung herbeizuführen ist
  • Modellstudiengänge, welche die Verordnung von Psychopharmaka einschließen, werden nicht mehr erwähnt.

Korrekt ist im Entwurf vermerkt, dass Psychotherapie ein attraktives und anspruchsvolles Berufsfeld darstellt. Es ist jedoch höchst fragwürdig, zu behaupten, dass durch den vorliegenden Gesetzentwurf die Versorgung der Bevölkerung verbessert würde, wenn sich bei genauer Lektüre des Textes herausstellt, dass der Zugang zu dem Berufsfeld stärker noch als bisher reglementiert werden soll. Festgestellt wird im Entwurf, dass sich schon jetzt mehr Personen in der Psychotherapieausbildung befänden, als benötigt würden.

Auffällig ist, dass die Kernpunkte des Referentenentwurfs trotz deutlicher Kritik gleich geblieben sind. Mit den vorgenommenen Veränderungen wird primär Forderungen der Verbände der Ärztinnen und Ärzte Rechnung getragen. Eine Ausnahme bildet der Verzicht auf Modellstudiengänge, die auch von der Mehrzahl der Psychotherapieverbände und dem BDP kritisiert wurden.

Risiken und Nebenwirkungen

Die Qualität der Ausbildung muss die handlungsleitende Maxime sein, wenn es um Gesundheit geht. Sie darf nicht dem Profilierungsstreben einzelner politisch Verantwortlicher geopfert werden.

  • Qualität wird nicht gefördert, wenn sich Abiturientinnen und Abiturienten schon im ersten Semester für ein Fach Psychotherapie entscheiden müssen. Dies stellt zu dem frühen Zeitpunkt eine Überforderung dar. Auch in Zukunft werden nur die Jahrgangsbesten zu diesem Studienfach zugelassen werden. Diese werden intellektuell in der Lage sein, die Studienanforderungen zu bewältigen. Wenn jedoch im Studium oder in der Berufseinmündungsphase klar wird, dass die Wahl nicht die richtige war, stehen die Personen vor dem Nichts. Ein Wechsel ist zumindest erschwert. In den Gesetzentwurf wurde die Formulierung aufgenommen, es solle sich um einen polyvalenten Psychotherapiestudiengang handeln. Eine Behauptung ohne Substanz, da ein Bachelor- oder Masterabschluss in Psychotherapie ohne Weiterbildung zum Erwerb der Fachkunde und ohne Approbation beruflich wertlos sein werden.
    Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen setzt sich für einen polyvalenten Psychologie-Studiengang als Grundqualifikation ein, der über die vielfältigen psychologischen Tätigkeitsfeldern im Bachelor-Studiengang informiert, ohne in diesem frühen Stadium eine Festlegung zu erfordern. Mit dem Master-Abschluss kann eine Spezialisierung erfolgen. Wenn Psychotherapie als spezielles psychologisches Anwendungsfeld von der Kerndisziplin abgespalten werden soll und neben einem teilweise festgeschriebenen Curriculum andere Inhalte im Studium vermittelt werden sollen, spricht dies nicht für eine Qualitätssteigerung der Ausbildung.
  • Qualität wird weiterhin nicht gefördert, wenn mit Abschluss des Studiums eine Staatsprüfung zur Erlangung der Approbation durchgeführt wird, ohne dass die Fachkunde erworben wurde. Es bedeutet eine zusätzliche Prüfung parallel zum Master-Abschluss, hat jedoch nicht die Wertigkeit der bisherigen Approbation. Selbstverantwortliche Arbeit in dem höchst anspruchsvollen psychotherapeutischen Arbeitsfeld setzt die Fachkunde voraus. Verunsicherung der Patientinnen und Patienten würde zumindest die Folge sein. Gefährdungdroht, wenn Approbierte praktizieren, ohne die Weiterbildung zu absolvieren.
  • Qualität wird nicht gefördert, wenn die Berufsbezeichnung „Psychologische Psychotherapeutin / Psychologischer Psychotherapeut“ abgeschafft werden wird. Sie soll auf „Psychotherapeutin / Psychotherapeut“ verkürzt werden. Auch Ärztinnen und Ärzte sollen sich so nennen können. Wenn man den Buchstaben des Gesetzentwurfs Glauben schenkt, sogar unabhängig von deren Spezialisierung. Damit wird die Berufsbezeichnung ihrer Aussagekraft beraubt und der Intransparenz Vorschub geleistet.
  • Qualität wird nicht gefördert, indem willkürlich postuliert wird, dass die Absolventinnen und Absolventen eines Psychotherapie-Studiengangs zur Übernahme von Leitungsfunktionen qualifiziert seien. Aus den im Entwurf beschriebenen Studieninhalten ist nicht erkennbar, wie diese Kompetenz erworben werden soll. Allein die Kenntnis der Versorgungssysteme, wie in den Erläuterungen dargestellt, reicht bei weitem nicht aus, um über die postulierte Kompetenz zu verfügen.
  • Qualität wird nicht gefördert, wenn die Absolventinnen und Absolventen des angestrebten neuen Studiengangs Psychotherapie in Bereichen außerhalb der Heilkunde tätig werden sollen. Dies ist im Zusammenhang mit der im Entwurf enthaltenen Prognose zu sehen, dass nicht alle im psychotherapeutischen Berufsfeld tätig werden können. Völlig ignoriert wird dabei, dass in den genannten Berufsfeldern, andere Qualifikationen erforderlich sind, die schon bisher auf anderen Wegen vermittelt werden. Verhindert werden muss, dass zukünftig approbierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit Psychologinnen und Psychologen in Wettbewerb treten und, um sich den Zugangzu ermöglichen, ihre Approbation als (höheren) Qualitätsnachweis ins Feld führen, obwohl dies hierfür keiner ist.

Der BDP fordert:

  • Die Berufsbezeichnung „Psychologische Psychotherapeutin“/„Psychologischer Psychotherapeut“ soll als Qualitätsmerkmal in Abgrenzung zum ärztlichen Psychotherapeuten erhalten bleiben
  • Ein polyvalenter Bachelor-Studiengang in Psychologie soll die Basis bilden, um den Absolventinnen und Absolventen neben der Weiterqualifizierung in Psychotherapie auch den Zugang zu anderen psychologischen Master-Studiengänge und beruflichen Anwendungsfeldern zu eröffnen
  • Im Studium soll u.a. die Verfahrensvielfalt in Psychotherapie in Strukturqualität vermittelt werden und nicht nur ein knapper Überblick über die Vielfalt psychotherapeutische Ansätze gegeben werden. Das aktuell existierende Defizit an adäquat ausgebildeten Lehrenden an den Universitäten außerhalb der Verhaltenstherapie muss behoben werden.  
  • Auf das Psychologiestudium soll die Weiterbildung in Psychotherapie folgen. Die Hochschulabsolventinnen und -absolventen müssen in der Weiterbildungsphase angemessen bezahlt werden. Im Gesetzentwurf ist für den ambulanten Teil der Weiterbildung keine Veränderung zum heutigen Stand vorgesehen
  • Die Weiterbildungsphase zum Erwerb der Fachkunde ist unverzichtbarer Bestandteil der Ausbildung und führt zur Approbation.
  • Psychotherapie ist die Anwendung von Heilkunde. Gesundheitsförderung außerhalb der Heilkunde, Prävention, Rehabilitation und Gutachtenerstellung sind keine regelmäßigen Tätigkeitsfelder von Personen, die sich auf Heilkunde spezialisiert haben, und erfordern eine spezifische Qualifizierung.

Als Übergangsfrist, in der die sich jetzt in der Ausbildung Befindlichen ihre Ausbildung abschließen können, sind zwölf Jahre vorgesehen. Dies klingt zunächst lange. Für Personen, die ihre Ausbildung zum Beispiel aufgrund einer Familienphase längere Zeit unterbrechen, kann die angedachte Übergangsregelung noch zu kurz sein. Die Zeitangabe macht auch deutlich, wie umfangreich die Ausbildung aktuell ist. Die Forderung, die Ausbildung zu straffen, indem Redundanzen beseitigt werden, ist im langjährigen Diskussionsprozess um die Novellierung auf der Strecke geblieben. Im Gegensatz ist zu erwarten, dass sich die Zeit bis zum Erwerb der Fachkunde nicht verkürzen wird und dass sich für die aktuelle Kohorte keinerlei Verbesserungen durch die Novellierung ergeben werden, was deren prekäre finanzielle Situation anbelangt.

In der Anhörung im Bundesministerium für Gesundheit am 04.02.2019 ist grundlegender Nachbesserungsbedarf des Referentenentwurfs deutlich geworden. Dieser wird nur unzureichend im Gesetzentwurf vom 27.02.2019 umgesetzt. Deutliche Veränderungen sind erforderlich, um nicht wieder 20 Jahre ins Land gehen zu lassen, um Missstände zu korrigieren. 
 

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Michael Krämer
Präsident des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen
Am Köllnischen Park 2
10179 Berlin

Quellenhinweis

BMG (2019). Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Psychotherapeutenausbildung. Verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/psychotherapeutenausbildung.html (08.03.2019).

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