PM: Scheinlösungen helfen Patienten nicht

Psychologische Psychotherapeuten warnen vor Selektivverträgen

Die Fakten sind bekannt: Die Gesellschaft ist mit einer wachsenden Zahl von Menschen mit psychischen Erkrankungen konfrontiert. Daraus resultieren Kosten im Gesundheitswesen aber auch eine steigende Zahl von Krankentagen und Frühverrentungen. Lange Wartezeiten verursachen Leid für Patienten und bergen die Gefahr von Chronifizierungen. Dass unter diesen Umständen von verschiedenen Seiten nach Lösungen gesucht wird, ist ausdrücklich zu begrüßen. Entscheidend für die Beurteilung dieser Lösungen muss aus Sicht der Verbandes Psychologischer Psychotherapeuten (VPP) im BDP in erster Linie das Wohl der Patienten sein.
Der erste Versuch, insbesondere die Kosten dieser Entwicklung besser in den Griff zu bekommen, liegt nun vor: ein Vertrag, der die gesamte neurologische, psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung außerhalb der Kassenärztlichen Vereinigung organisiert. Geschlossen wurde er in Baden-Württemberg zwischen AOK, der Bosch Betriebskrankenkasse, der Aktiengesellschaft MEDI-Verbund und weiteren Partnern. Hinter einer Fassade anscheinend attraktiver Regelungen verbergen sich, so die Vorsitzende des VPP, Eva Schweitzer-Köhn, für Patienten jedoch unvertretbare Risiken. „Eine rasche Terminvergabe, wie der Vertrag sie verspricht, macht die Defizite nicht wett. Wenn ich stattdessen nur per Überweisung durch den Hausarzt zu einem Therapeuten gelange, wenn ich keine Chance habe, diesen in einer probatorischen Phase zu prüfen, wenn ich als Patient auf mein Recht auf eine hochfrequente Langzeittherapie von Anfang an verzichten muss, dann ist das sehr problematisch.“ Würden Patienten dann noch erfahren, dass die Therapeuten Zuschläge erhalten bei einer verringerten Krankschreibungsrate und ihr Honorar mit der Dauer der Behandlung sinkt, dann würden sie sich mit Recht verraten fühlen, so die VPP-Vorsitzende. Wundern dürfe man sich hingegen nicht darüber, dass Vertragspartner, zu denen eine Aktiengesellschaft gehört, gewinnorientiert arbeiten – das sei deren Zweck.

Der VPP hat zudem fachliche Bedenken gegen den Vertrag. So sind bestimmte Verfahren nur bei bestimmten Erkrankungen erlaubt. Die störungsspezifische Indikation versuchten Therapeuten im KV-System zu verhindern; nun komme sie durch die Hintertür über solche Verträge wie in Baden-Württemberg. Wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspreche es auch, ab der 60. Stunde nur noch zwei Therapiesitzungen pro Monat zuzulassen. Solche Formalia ignorierten, dass sich oft erst im Verlauf der Behandlung die Schwere einer Erkrankung herausstellt. Die durch zahlreiche Untersuchungen bestätigte Tatsache, dass Langzeittherapien eine nachhaltigere Wirkung haben als kurze, wird mit dem Vertrag ebenfalls völlig ausgeblendet.

Der VPP wird gemeinsam mit dem Gesamtverband der Psychologinnen und Psychologen, dem BDP, alle ihm zur Verfügung stehenden Wege und Mittel nutzen, um Politik, Fachöffentlichkeit und Patienten über die Gefahren solcher Scheinlösungen zu informieren und eine Entwicklung aufzuhalten, in der wir am Ende in einer schönen neuen Vertragswelt aufwachen, in der es nur einer Gruppe besser geht: den Aktionären, nicht aber den Patienten.

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