Gegen Gewalt gegen Frauen und für eine konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland / Resolution
Resolution
Präambel
Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt („Istanbul-Konvention“) von 2011 ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Es beinhaltet Opferschutz, Prävention und Strafverfolgung, darüber hinaus die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen. Seit dem 1. Februar 2018 ist die Konvention geltendes Recht in Deutschland, vor dessen Hintergrund die deutschen Gesetze ausgelegt werden müssen (Quelle: UN Women Deutschland. (2023). Die Istanbul-Konvention. Abgerufen (7.11.24) von https://unwomen.de/die-istanbul-konvention/).
Die Umsetzung der Istanbul-Konvention wird alle fünf Jahre von der unabhängigen Expert*innengruppe des Europarats (GREVIO) evaluiert. Der Evaluationsbericht für Deutschland aus dem Jahr 2022 zeigt einige Fortschritte, aber auch erhebliche Umsetzungsdefizite auf: Insbesondere verweist GREVIO auf die fehlende Finanzierung und Infrastruktur für die Opferhilfe und das Fehlen einer staatlichen Koordinierungsstelle zur Überwachung und Förderung der Umsetzung der Istanbul-Konvention (Quelle: UN Women Deutschland. (2023). Die Istanbul-Konvention. Abgerufen (7.11.24) von https://unwomen.de/die-istanbul-konvention/).
Alle vier Minuten erlebt eine Frau Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. 2023 wurden in Deutschland 155 Frauen Opfer von Gewalttaten mit tödlichem Ausgang durch ihre Partner oder früheren Partner. 167.639 Fälle von Partnerschaftsgewalt und 78.341 Fälle von innerfamiliärer Gewalt wurden erfasst (Quellen: Bundeskriminalamt: Bundeslagebild Häusliche Gewalt 2023. Abgerufen (7.11.2024) von https://www.bka.de/Shared-Docs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/HaeuslicheGewalt/HaeuslicheGe-walt2023.html?nn=219004 und Bundesministerium des Innern und für Heimat. Gewalt gegen Frauen. Abgerufen (7.11.2024) von https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/schwerpunkte/DE/gewalt-gegen-frauen/gewalt-gegen-frauen-artikel.html
Die Debatte über Femizide ist in Deutschland noch neu in der Politik, obwohl sie seit Jahrzehnten weltweit von Aktivist*innen und Expert*innen aus verschiedenen Bereichen der Psychologie, des Rechts, der Soziologie und der philosophischen Wissenschaft gefordert wird. Nach wie vor gelten in Deutschland Femizide, also der Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist (Quelle: Definition der WHO, abgerufen (7.11.2024) von https://unwomen.de/gewalt-gegen-frauen-in-deutschland/), nicht als eigener Straftatbestand, stattdessen werden sie als Mord oder Totschlag eingeordnet.
Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vom Sommer 2024 (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und weiterer Gesetze – Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen) (Quelle: Deutscher Bundestag. (2024). Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und weiterer Gesetze – Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen. Abgerufen (07.11.24) von https://dip.bundestag.de/vorgang/gesetz-zur-%C3%A4nderung-des-strafgesetzbuches-und-weiterer-gesetze-verbes-serung/313674) erwähnt weder geschlechtsspezifische Gewalt noch den Begriff Femizid. Er zielt darauf ab, mit dem Merkmal des Tötungsdelikts „Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ eine Lösung für das tief verwurzelte Problem des Femizids zu finden: Bei der gefährlichen Körperverletzung, dem schweren Raub und bei Mord wird als neues Qualifikations- bzw. Mordmerkmal „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ eingefügt. Damit können künftig Gewalttaten insbesondere zum Nachteil von Kindern, Frauen, Senioren und Menschen mit Behinderungen angemessen bestraft werden (Quelle: Deutscher Bundestag. (2024). Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und weiterer Gesetze – Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen. Abgerufen (07.11.24) von https://dip.bundestag.de/vorgang/gesetz-zur-%C3%A4nderung-des-strafgesetzbuches-und-weiterer-gesetze-verbes-serung/313674).
Was wir fordern
Die kurz- und langfristigen Folgen, mit denen die Überlebenden von geschlechtsspezifischer Gewalt und versuchtem Femizid leben müssen, beeinträchtigen die physische und psychische Gesundheit sowie die soziale und berufliche Integration von Hunderten von Frauen. Es besteht ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen, Drogenmissbrauch, Einstieg in die Prostitution, ungewollte Schwangerschaften, Suizid, usw. Es beeinträchtigt die Schul- und Berufsausbildung, die familiäre Integration, das soziale Umfeld der Frau und ihre Lebensqualität.
Diese Folgen können aus unserer Sicht nicht länger hingenommen werden. Wir fordern ein entschiedenes Einschreiten für den Schutz von Frauen vor Gewalt im Sinne der Istanbul-Konvention.
- Als Berufsverband fordern wir die korrekte und vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention mit der entsprechenden Finanzierung und Zuweisung von Ressourcen gemäß der Evaluation 2022. Dies betrifft nicht nur die Betreuung von Betroffenen, sondern auch die Prävention. Erforderlich ist eine koordinierte bundesweite Gesamtstrategie, die die Mitwirkung des Berufsstandes der Psycholog*innen mit viel größerem Stellenwert als bisher einbezieht.
- Eine präzise Benennung und Beschreibung geschlechtsspezifischer Gewalt, die über die bloße Abgrenzung zur häuslichen Gewalt hinausgeht, ermöglicht es, die Umstände von Todesfällen und die von Frauen erlebte Gewalt besser zu verstehen, zu analysieren und angemessen zu sanktionieren. Sie muss daher auch in unser Rechtssystem, in entsprechende Gesetze und in jegliche Maßnahmen zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen aufgenommen werden.
- Die Tötung von Frauen ist der ultimative Ausdruck von struktureller geschlechtsspezifischer Gewalt und sollte als Femizid benannt, kategorisiert und strafrechtlich verfolgt werden. Dies stärkt nicht nur die Verpflichtung des Staates zur konsequenten Umsetzung der Istanbul-Konvention, sondern ermöglicht es auch, die tiefen Wurzeln geschlechtsspezifischer Gewalt und die Unterdrückungsmechanismen, denen Frauen in unserer Gesellschaft nach wie vor ausgesetzt sind und die sich nicht auf eine „Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ beschränken, zu verstehen und zu bekämpfen.
- Wir fordern auch und ganz besonders den Schutz von Frauen und Mädchen, die vulnerablen Gruppen angehören (z. B. Geflüchtete, Traumatisierte, Frauen und Mädchen mit Behinderungen).
Was wir anbieten
Mit Blick auf den GREVIO-Evaluationsbericht gibt es aus psychologischer Perspektive zahlreiche Ansatzpunkte. Als Psycholog*innen sowie als Berufsverband in Deutschland sehen wir uns in der Pflicht, aktiv dazu beizutragen, dass unsere psychologische Expertise in die präzise und wirkungsvolle Ausarbeitung eines Gesetzes einfließt, das Strategien zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt wirksam umsetzt und Femizide verhindert.
Geschlechtsspezifische Gewalt ist in allen Lebensbereichen zu thematisieren, Prävention muss gesellschaftsweit angelegt sein. Darüber hinaus ist Gewaltprävention ein Thema für die gesamte Lebensspanne. Psycholog*innen sind zentrale Akteure in der Prävention, sie entwickeln Konzepte für niedrigschwellige Beratungsangebote in unterschiedlichen Settings. In der Beratung relevanter Akteure bringen Psycholog*innen ihr inhaltliches, prozessbezogenes und systemisches Fachwissen ein. In der Aus- und Weiterbildung des Fachpersonals, das mit Betroffenen und Tätern arbeitet, liefern sie wesentliches Know-how, wie z. B. zur notfallpsychologischen Begleitung, zur Sensibilisierung, zur Psychoedukation u. v. m..
Das alles ist möglich und selbstverständlich auf der Basis einer evidenzbasierten Datengrundlage. Wo diese fehlt, kann sie von der Profession hergestellt werden.
Hier geht es zur Pressemitteilung "BDP-Resolution fordert deutliche Verbesserungen bei gesetzlicher Regelung zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Deutschland (Istanbul-Konvention)".