Stellungnahme der Sektion Schulpsychologie zu den aktuellen Empfehlungen der Ständigen wissenschaftlichen Kommission der KMK zum Umgang mit dem akuten Lehrermangel
Stellungnahme
Die aktuellen Empfehlungen der SWK der KMK zur Bewältigung des Lehrkräftemangels vom 27.01.2023 sind schwere Kost, zeugen sie doch davon, dass die Personalkrise im Schulsystem weit fortgeschritten ist und mittlerweile ein dramatisches Ausmaß erreicht hat. Diese Tatsache gilt es anzuerkennen. Gleichzeitig sieht die Sektion Schulpsychologie im BDP erhebliche Risiken bei der Umsetzung von Teilen der vorgeschlagenen Maßnahmen.
Die Umsetzung der Vorschläge würde kurzfristig zu einer erheblichen Mehrbelastung von Schulen und Lehrkräften führen, die ohnehin häufig schon weit über ihrer Belastungsgrenze arbeiten. Wir wissen von vielen Überlastungsanzeigen, Versetzungsanträgen, Kündigungsüberlegungen, psychischen Belastungen und stressbedingten Erkrankungen sowie Berufsaufgabe aus gesundheitlichen Gründen. In vielen Schulen kommen die vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen zu bedrohlichen Ergebnissen, ohne dass es eine Chance auf nachhaltige Entlastung gibt.
Schulpsycholog*innen unterstützen Lehrkräfte, Schulleitungen und Kollegien nach Kräften, mit belastenden Situationen möglichst gesund umzugehen und handlungsfähig zu bleiben. Doch die Möglichkeiten der individuellen Stärkung und des Gesundheitsmanagements sehen wir ausgeschöpft. Die menschlichen Anpassungsfähigkeiten an einen immer dichteren, komplexeren längeren Arbeitsalltag mit immer weniger Erholungsmöglichkeiten sind endlich. Und bei weiterer Mehrarbeit bleibt noch weniger Zeit für Erholungsphasen und gesundheitsbezogene Angebote.
Vor diesem Hintergrund wird befürchtet, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen in der Summe die Systemkrise noch verstärken werden, und zwar genau an jener Stelle, an der die Not am größten ist. Die Sektion Schulpsychologie schlägt deshalb vor, die rasche Umsetzung folgender Maßnahmen zu prüfen und vorrangig umzusetzen:
- Veränderungen in der Unterrichtsorganisation unter Berücksichtigung bewährter sowie auf psychische Gesundheit ausgerichtete Schulkonzepte und Lernformate
- Stärkere Gewichtung von Unterrichtsinhalten, die Wohlbefinden sowie Klassen- und Schulklima fördern
- die Entlastung der Lehrkräfte und Schulleitungen von bürokratischen Auflagen
- die Entlastung der Lehrkräfte und Schulleitungen in schulischen Verwaltungstätigkeiten durch einen Aufwuchs an Verwaltungs- und IT-Fachkräften in den Schulen
- eine angemessene Unterstützung der Lehrkräfte und Schulleitungen im Fallmanagement durch eine Stärkung der schulinternen und schulexternen Ressourcensysteme (Schulsozialarbeit, Schulpsychologie, Kinder- und Jugendhilfe, pädagogische Mitarbeiter*innen etc.)
Wenn die akute Krisensituation im System anerkannt wird, dann ist seitens des Gesetzgebers und der Schulbehörden eine Priorisierung von Mitteln und Wegen erforderlich, die in den genannten Feldern zu einer raschen Verbesserung führen. Es sollten jetzt nicht die einfachsten Wege gegangen werden, sondern diejenigen, die zu einer realen und nachhaltigen Verbesserung für Schüler*innen und Lehrkräfte führen.
Vor dem Hintergrund der benannten „historischen Herausforderung“ für Gesellschaft, Bildung und Wirtschaft braucht es vor allem Mut, jetzt die Schwachstellen unseres Bildungssystems anzugehen. Neben dem Ausdünnen von Stundentafeln und überfrachteter Lehrpläne, bedeutet dies eine grundlegende Ausrichtung auf zukunftsfähige Kompetenzen und Potenzialentfaltung - wie etwa im OECD-Lernkompass 2030 aufgezeigt.