Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zum Betrieb eines bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“

Unter praktischen Gesichtspunkten erscheint jedoch fraglich, ob die hohen Ziele und Anforderungen an die Ausgestaltung des Angebots - wie die Qualifikation der Beraterinnen, Mehrsprachigkeit und 24-stündige Erreichbarkeit - unter ökonomischen und fachlichen Gesichtspunkten realisierbar sind. Zudem besteht vielerorts bereits ein breitgefächertes Opferhilfeberatungsangebot für Frauen, so dass eine darüber hinausgehende Verbesserung des Hilfeangebots durch die geplante Maßnahme fraglich erscheint. Daher ist auch aus unserer Sicht eine zeitnahe wissenschaftliche Evaluation der Inanspruchnahme des Hilfetelefons notwendig, wie es § 5 des Referentenentwurfs zum Hilfetelefongesetz vorsieht.

Darüber hinaus geben wir zu bedenken, ob ein zentrales Beratungsangebot nicht stärker auf die Funktion des Türöffners zur Inanspruchnahme in Verbund mit einer Vermittlungsaufgabe in regionale Strukturen im Sinne eines aktiven Lotsen konzentriert wird. Dies würde im Unterschied zur Vorgabe „anonyme Telefonberatung“ den Bedürfnissen der Anruferinnen erneut mit der gleichen Beraterin zu sprechen, persönlichen Kontakt aufzunehmen und relativ rasch bestehende lokale Strukturen und Ansprechpartner zu kennen, berücksichtigen.

Es ergeben sich Probleme einer zentral vorgehaltenen mehrsprachigen Beratung, wie dem Fehlen verbreiteter Sprachen (Spanisch, Französisch, Portugiesisch), das ganzjährige Vorhalten von mehreren Dolmetschern über 24 Stunden täglich einschließlich der damit verbundenen komplizierten Gesprächsstruktur in einem Dreier-Telefonat können mit einer verknüpften Struktur besser gelöst werden. Dies gelänge z.B. durch die aktive Vermittlung an lokale sprachkompetente Beraterinnen einschließlich der kurzen Vorbereitung der Beraterin hinsichtlich der berichteten Umstände im konkreten Fall. Eine Verknüpfung einer bundeseinheitlichen Nummer mit lokalem spezialisierten Know-how stellt unserer Ansicht nach eine bessere Lösung der Versorgungsaufgabe dar. Schließlich ist auch zu bedenken, dass ein bundeseinheitliches Telefon mit breitem Aufgabenspektrum bestehende Beratungsangebote und Hilfestrukturen in den Regionen zwar nur partiell ersetzen, aber damit deren Weiterbestehen und damit auch die Vermittlungspotentiale des zentralen Telefons deutlich schmälern würde.

Bedenklich erscheint weiterhin, dass sich mit einer Begrenzung des Angebots auf Frauen und deren Umfeld eine Tendenz in der Praxis zur Vernachlässigung von Beratungsangeboten für Männer als Opfer fortzusetzen scheint. Zwar zeigen bisherige Untersuchungen, dass männliche (Trauma-)Opfer seltener Hilfeeinrichtungen aufsuchen, unklar ist jedoch nach wie vor, ob dies Geschlechtsstereotypen oder strukturellen Aspekten, wie das Fehlen von spezialisierten Hilfsangeboten für Männer, geschuldet ist. Es darf nicht übersehen werden, dass Studien darauf hinweisen, dass deutlich mehr männliche als weibliche Traumaopfer von unmittelbar nach dem erlittenen Trauma geleisteter Hilfe profitieren würden (Ludewig, Praxis der Rechtspsychologie 2010, S. 325, 335 ff.). Vor diesem Hintergrund ist zu überdenken, ob der Adressat eines Hilfetelefons, das als Erst-/Basisangebot ein breites Spektrum von Opfern erreichen möchte, nicht auch auf Männer als Opfer von Gewalt ausgeweitet werden muss.

Spätestens im Kontext der Evaluation sollte daher geprüft werden, ob der Bedarf dieser Zielgruppe durch andere Angebote abgedeckt ist oder z.B. aufgrund des Auslaufens des Beratungstelefons zu Sexueller Gewalt integriert werden sollte. Ein derartiger Prüfauftrag könnte in der Begründung vorgesehen werden.

Änderungsvorschlag zur Begründung Nummer IV:

Der Bezug zwischen einem Studiengang als Sozialarbeiterin oder Sozialpädagogin zur Gesprächsführungskompetenz von psychisch belasteten Frauen in besonderen Notsituationen und ggf. bestehender Traumatisierung ist fachlich nicht nachvollziehbar. Abgesehen davon, dass in der Beratung dieser Zielgruppe psychologische Kompetenzen und Wissen über psychische Belastungen und deren Bewältigung eine wesentliche Rolle spielen und diese im Studium der Sozialarbeit/Sozialpädagogik nicht vorkommen, ist grundsätzlich der Bezug auf eine Berufsgruppe als Qualifikationsmerkmale im Zuge der Umsetzung von Bologna und der Vielfalt von Studieninhalten nicht mehr nachvollziehbar. Wir schlagen daher, vor als Qualifikationsmerkmale einschlägige Berufserfahrungen im benannten Themenfeld vorzusehen und in diesem Zusammenhang keine spezielle Berufsgruppe zu erwähnen, so dass alle sozialen Gesundheitsberufe mit einschlägiger Beratungskompetenz tätig werden können.

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