Internationaler Frauentag 2022

Dipl.-Psych. Ulrike de Ponte

Ich wurde gefragt, ob ich etwas schreiben kann zum diesjährigen Frauentag. Ich fühlte mich geehrt und ich dachte gleichzeitig erschreckt: Oh je – in diesen Zeiten!?! Das irritierte mich.

Um dies einzufangen, habe ich mich entschlossen, aus subjekt-orientierter Perspektive, im Ich schreibend, dies hier nun als Einstieg in meine Gedanken zum Internationalen Frauentag zu nehmen.

Mein Gefühl des Erschreckens sowie das „in diesen Zeiten“ können ohne Frage als ego-, euro-zentrische oder als rassistischer Anteil in mir gelesen werden. Ich wage einmal zu vermuten, dass eine Auseinandersetzung dazu mich und uns alle begleiten wird. Ich will diese jedoch nicht hier beginnen.

Ich will hier vielmehr diese Beziehung zum Kontext „Internationaler Frauentag“ beleuchten; das ist ja meine Aufgabe.

Internationaler Frauentag birgt in sich eine Gemengelage an Assoziationen, von denen ich einige hier nennen will: Es geht um alle Frauen überall, und zwar radikal. Frauen, das schwache Geschlecht, und sie lassen einen schwach werden. Frauen, das andere Geschlecht – zu was? Geschlecht ist ein Umbrellabegriff. Frauen sind ungehört und unerhört. Frauen sind ungesehen, Aufsehen erregend. Frauen gebären, bringen Neues auf und in die Welt, transformieren, revolutionieren, formen eine ganz andere Art, Kraft handlungswirksam werden zu lassen. Sie sind ungeachtet und an einem Tag im Jahr erheben wir unsere Gläser und trinken auf sie. Frauen schenkt man Blumen (auch wenn sie lieber andres hätten), weiße oder rote Tulpen am Internationalen Frauentag.

Sicher fallen Ihnen, liebe Lesende, noch mehr und sogar bessere Assoziationen ein.

Was ich heute hier herausheben will, sind die gegensätzlichen Gedanken- und Gefühls-Switche, die daran kleben, anhaftend in einem inneren Durch-die-Geschichte-Gehen. Und es rührt an etwas zutiefst Menschliches, nämlich das Gesehen und Verstanden-Werden(-Wollen) und das Miteinander-Ringen darum. Anerkennung und Zeugenschaft sind zwei wissenschaftliche Begriffe1 dazu. Wenn wir erleben, gesehen und verstanden zu werden, dann ist etwas Neues, ein gemeinsames Drittes2, hoffnungsvoll aufgetaucht oder ins Gegenwärtige hineingeboren worden.

Und so möchte ich 2022 diesen kraftvollen Aspekt ans Licht bringen, der auch im Erinnern an den Internationalen Frauentag geborgen ist: Frauen gebären, bringen Neues auf und in die Welt, transformieren, revolutionieren, formen eine ganz andere Art, Kraft handlungswirksam werden zu lassen. Auch das hat Geschichte gezeigt und so lasst uns gemeinschaftlich unsere Gläser in Gedenken an unsere (Ur-)Großmütter erheben!

Ulrike de Ponte ist Diplompsychologin und wissenschaftliche Leitung für den Part Psychologie des Zusatzstudiums „Internationale Handlungskompetenz“ an der OTH Regensburg. Seit 7 Jahren ist sie Convenor des EFPA-Board on Cultural and Ethnic Diversity, das das Ziel verfolgt, (inter)kulturelle Psychologie grundständig in die Bachelorstudiengänge für Psychologie in Europa einzubinden. Aktuell arbeitet sie kulturpsychologisch an der Frage, wie das Erfahren des Fremden durch Im-Ausland-gewesen-zu-Sein zu einer Stärkung auf psychischer Ebene verarbeitet wird. Für den Internationalen Frauentag 2022 lässt sie uns in Kurzform über den subjekt-orientierten Zugang des Interpretativen den tiefen Gehalt des Tages spüren und in Ehren halten.

1Dazu beispielsweise: Straub, Jürgen (1999). Verstehen, Kritik, Anerkennung. Das Eigene und das Fremde in den interpretativen Wissenschaften. Göttingen: Wallstein. Sowie: Benjamin, Jessica (2019). Anerkennung, Zeugenschaft und Moral. Soziale Traumata in psychoanalytischer Perspektive. Gießen: Psychosozial Verlag.

2Benjamin, Jessica (2004). Beyond Doer and Done To: An Intersubjective View of Thirdness. online: onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/j.2167-4086.2004.tb00151.x

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